Über Leben mit Besonderheiten (+Rezension von Daniela Schreiter – Schattenspringer )

(*hüstl* So viel zur Blogpause. Aber diesen Artikel zu schreiben, war mir trotz schmerzender Hand ein dringendes Bedürfnis.)

Was eigentlich vor allem als Rezension gedacht war, muss ich anders anfangen. Privater schreiben, als ich es sonst tu. Eigentlich mag ich das nicht wirklich, denn ich schreibe einen Buchblog und in meinen Augen sollte es darin um Bücher gehen. Meine Person sollte zwar ansatzweise vorkommen, damit man sich orientieren kann, ob man ähnlich ist und daher einen ähnlichen Buchgeschmack hat (und somit wiederum bei meinen Rezensionen was für sich finden kann). Aber ich selbst sollte dennoch im Hintergrund stehen.

Hier aber muss ich doch einmal mehr über mich schreiben, um begreiflich machen zu können, was die beiden Bücher mir bedeuten.

Ich bin … anders. Ich weiß nicht, ob ich Asperger habe. Auf diesen ganzen ‚Mach mal den Vortest, aber wirklich kann es dir nur ein Spezialist sagen‘-Testskalen bin ich immer höher als der angebliche Durchschnitts-Aspie, aber ich hadere da schon mit dem Wort Durchschnitt.

Jedenfalls habe ich so meine Tics, komme nicht allzu gut face to face mit Menschen klar, habe panische Angst vor Telefonen (es sei denn, es ist Familie, dann hasse ich telefonieren nur), komme nur sehr schwer überhaupt aus dem Haus (was es schwer macht, je zu erfahren, was mit einem los ist) und … ich begreife Menschen nicht. Es tut mir leid, wenn ich manchmal arrogant wirke, kalt oder unverständig. Letzteres stimmt, ersteres ist eher der Versuch, irgendwie eine Relation zu einem für mich völlig unlogischen Verhalten aufzubauen.

Gleichzeitig bin ich aber auch temperamentvoll, so sehr ich mich auch bemühe, rein rational zu denken. Was dafür sorgt, dass ich auch mit mir selbst nicht sonderlich gut klarkomme.

Ich muss immer versuchen, alle Geräusche meiner Mitmenschen auszublenden, weil mich ihre nicht planbaren Aktionen nervlich auf die Palme bringen, so dass es bei mir eigentlich selten still ist. Auch schlafen kann ich nur, wenn der Fernseher läuft und damit für mich planbare Geräusche Straße, Bahnlinie und Flugzeuge – aber vor allem den Nachbarn mit seinem verdammten, laut zuknallenden Mülltonnendeckel! – übertönen.

Und um ehrlich zu sein, bin ich recht … einsam. Ich habe Freunde, aber es fällt schwer, Freundschaften richtig aufrecht zu erhalten, wenn man Menschen nicht im echten Leben treffen möchte, weil einen Wesen aus Fleisch und Blut überfordern und man Informationen schriftlich eh viel besser aufnehmen kann. Aber Treffen im Internet werden von vielen eben nicht als Pflege von Sozialkontakten angesehen, man schenkt dem nicht die gleiche Zeit und Aufmerksamkeit, die man für Treffen mit Freunden in Cafés einplant. So ist derjenige am anderen Ende der Leitung oft Lückenbüßer, mit dem man nur Zeit verbringt, wenn abseits des Netzes wirklich gar nichts mehr zu tun ist und keiner mit dem normalen Freund ausgehen will.

Das ist schade, aber okay. Ich meine, jeder soll so glücklich werden, wie er oder sie das möchte. Wer bin ich, ihnen das zu missgönnen, nur weil ich dabei am Ende ab und an auf der Strecke bleibe? Ich bin doch keine Verantwortung, sondern nur ein anderer, mehr oder weniger selbstständiger Mensch.

Jedenfalls sorgt diese ‚Einsamkeit‘ in Verbindung mit der Arbeitslosigkeit – die aber auch so leicht nicht loszuwerden ist, wenn man nicht mal gut aus dem Haus gehen kann, ohne einen Nervenzusammenbruch zu kriegen – dafür, dass ich sehr viel Zeit zum Lesen habe.

Aber auch da bin ich anders. Ich lese unglaublich gern, kann mir aber all das nicht vor dem geistigen Auge vorstellen. Wie gern würde ich Hogwarts vor mir sehen, oder Drachen, oder sonst irgendwas, worüber ich lese. Aber ich kann es nicht. Ich habe Kopfkino, aber das beschäftigt sich meist entweder damit, wie ich an der Stelle gerade sterben kann, weil die Treppe schon so merkwürdig knarzt und sicher gleich unter mir einbricht, oder eben mit Dingen, die ich kenne. Die ich schon gesehen habe. Sobald es einen Film von etwas gibt, wird es besser – sofern der gut ist -, aber Dinge, die ich nie gesehen habe, kann ich mir nicht richtig vorstellen. Dennoch lese ich gerne, habe aber das Gefühl, ich verpasse etwas.

Und auch mit Charakteren habe ich so meine Probleme. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie wirklich mit irgendeinem Hauptcharakter identifizieren können. Man liest immer wieder, wie wichtig das ist. Dass Charaktere und Leser eine Verbindung aufbauen. Das konnte ich nie. Oft begriff ich die Charaktere genauso wenig, wie ich meine Mitmenschen begreife. Sie verhalten sich alle so unlogisch.


Und damit komme ich nun endlich zu den Büchern Schattenspringer 1 und 2 von Daniela Schreiter.

Schattenspringer: Wie es ist, anders zu seinSchattenspringer, Band 2: Per Anhalter durch die Pubertät

In beiden Graphic Novels (Panini Books, je ca. 160 Seiten) erzählt sie mit niedlichen Comics, einfühlsam und niedrigschwellig davon, wie es ist, sie zu sein. Sie hat diagnostiziertes Asperger und versucht so, ihren Mitmenschen begreiflich zu machen, wie es sich damit anfühlt. Wie der Betroffene lebt, ohne dass es die Leute um ihn herum merken. Dabei nutzt sie viel Humor, verschweigt aber auch die kritischen Themen wie die lauernden Ängste, Depressionen, Suizidgedanken nicht.

In schön thematisch strukturierten Kapiteln greift sie in beiden Bänden Aspekte des Lebens auf und beschreibt dann die Einflüsse des Asperger so ‚miterlebbar‘ wie möglich.

Wie gesagt, ich bin bisher nicht diagnostiziert. Den Verdacht gibt es bei mir seit über 10 Jahren, aber mein einer Versuch, mit einem Experten darüber zu reden, endete nach einer Stunde Wartezeit damit, dass die Ärztin (Neurologin und Psychiaterin) nur auf die Überweisung schaute und sagte: „Sie sind über 18, Sie sind zu alt für die Tests. Und bei Ihnen bringt das nichts mehr, Sie sind doch mit der Schule schon fast durch, jetzt kriegen Sie dadurch auch keine besseren Noten mehr.“ Dass ich nur wissen wollte, warum ich mich mein Leben lang so anders gefühlt habe und mit dem Leben einfach nicht zurechtkomme, war kein Argument. Ich durfte nicht einmal bis in den Behandlungsraum. Sie schickte mich schon am Tresen wieder weg. (Dabei kannte sie mich, wusste von meinen Depressionen, meinen schlafmangelbedingten Halluzinationen, … )

Auch diese beiden Graphic Novels können mir keine Gewissheit geben. Aber zum ersten Mal in 28 Jahren Leben fühlte ich mich verstanden. Ich erkannte mich nicht in allem wieder, teilte nur etwa 80 Prozent ihrer Besonderheiten und habe dafür wiederum andere, die sie nicht erwähnt. Und dennoch, zum ersten Mal fühlte ich mich einem Charakter verbunden. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mich das nun schon zum dritten Mal zum Weinen bringt. Erst, als ich den Webcomic fand, dann, als ich die Bücher las, und nun, während ich das schreibe.

Diese Comics geben mir die Mittel, anderen vielleicht zumindest ansatzweise begreiflich zu machen, mit welchen Dämonen ich tagtäglich zu kämpfen habe und warum es mir so schwer fällt, zu funktionieren. Dass das nichts mit Faulheit oder Unwille zu tun hat, und vor allem, dass dieses „Du musst einfach dagegen ankämpfen und dich an ein normales Leben gewöhnen“ mich nur immer wieder in den Zusammenbruch treibt, wenn man es von mir verlangt.

Ich habe sie bisher nur aus der Bücherei ausgeliehen, in der Hoffnung, dass sie auch meinen Eltern aufzeigen können, dass ich nicht einfach nur krank bin. Dass Pillen oder Therapien vielleicht kurzzeitig Linderung verschaffen können, mir vielleicht Wege aufzeigen können, wie ich etwas besser mit mir umgehen kann, aber das Problem selbst nicht heilbar ist.

Doch ich denke, ich werde sie mir noch kaufen. Denn sie haben mir etwas wichtiges in die Hand gegeben, was ich vorher noch nicht hatte: Die Erklärung, die ich nicht in Worte fassen kann. Und das Wissen, nicht alleine zu sein.

Daher entschuldigt bitte diese mal völlig andere Rezension. Ich kann euch nicht objektiv sagen, warum ich diese Bücher für besonders wertvoll und wichtig halte. Ich kann euch nur sagen, warum sie es für mich sind. Und warum ich unendlich dankbar bin, dass eine Freundin mich mit der Nase auf sie gestoßen hat.

 

2 Gedanken zu „Über Leben mit Besonderheiten (+Rezension von Daniela Schreiter – Schattenspringer )“

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