Thomas, Emilia – Das kleine Buchcafé an der Isar

Buchdetails

  • Erinnert an: So ziemlich alle Romane mit Buchhandlungen – nur ohne den oft obligatorischen Mord
  • Genre: Romanze
  • Erscheinungsdatum: 2022
  • Verlag: beHeartbeat (von Bastei Lübbe)
  • ISBN: 9783741303333
  • Ebook 254 Seiten
  • Sprache: Deutsch
  • Triggerwarnungen: Inspiration Porn, Trauma Porn, Fatshaming, Betrug (erwähnt), Bury your Gays (naja, zumindest erwähnt)
  • Positiv anzumerken: eine eigentlich ganz coole, behinderte Nebenfigur, sowohl religiöse als auch sexuelle Vielfalt

 

Inhalt: 

Marlene hat ihren letzten Job geschmissen, weil sie eine Affäre mit ihrem Chef hatte – und der sich nebenher eine Vorzeigefreundin gesucht hat. Nun dümpelt sie durchs Leben und kann bald ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, denn ein Doktortitel in Literaturwissenschaft öffnet nicht so viele Türen, wie sie erhofft hat.

Dass der urige Buchladen um die Ecke eine Mitarbeiterin sucht, kommt ihr da gerade Recht. Bücher mag sie ohnehin. Und schnell peppt sie die alte Buchhandlung mit frischen Ideen auf, darunter eine Schreibwerkstatt, wo sie Amelie kennenlernt. Die Schülerin nutzt seit einem Unfall einen Rollstuhl und würde gern Autorin werden – und dann kommt ihr Bruder ins Spiel, der zwar keinen guten, ersten Eindruck macht, Marlene aber schnell ans Herz wächst.

 

Charaktere: 

Zunächst erschien mir Marlene viel zu unreif für eine Frau, die gerade promoviert hat. Aber schnell stellt sich heraus, dass das durchaus im Sinne des Plots ist und durchaus im Buch auch thematisiert wird.

Johannes wiederum ist der typische Love Interest, der ein bisschen mysteriös wirkt, und natürlich ein Trauma hat, damit die Protagonistin was hat, worin sie herumstochern kann. Ach, er hat übrigens moosgrüne Augen. Warum ich das betone? Weil der Begriff eine mittlere zweistellige Zahl oft genutzt werden musste.

Und dann ist da noch Amelie, die eigentlich eine wirklich gute Repräsentation ist. Eine junge, behinderte Frau, die zur Schule geht, und schon weiß, dass sie Autorin werden will. (Ich hoffe, jemand hat ihr gesagt, dass die wenigsten davon leben können. Aber … das nur nebenbei.) Sie hat also durchaus einen eigenen Charakter, eigene Pläne, wird auch laut, aktiv, um diese Umzusetzen. Aber von ihrem gesamten Umfeld wird sie auf ihre Behinderung reduziert. Und das ist es, wo das Buch mir wirklich Bauchschmerzen macht. Auf der einen Seite haben wir einen behinderten Charakter, der wirklich nicht nur Deko ist – und auf der anderen Seite deuten alle Charaktere um sie herum an, wie schlimm das doch für sie ist, und wie bewundernswert es sei, dass sie einfach so weiter macht. Und obwohl sie 17 ist, kontrollieren ihre Eltern sie auf Schritt und Tritt. Amelie selbst merkt sogar mehrfach an, dass sie sich damit arrangiert hat, nach einem Unfall gelähmt zu sein. Und dennoch kann das Buch nicht anders, als wieder und wieder zu betonen, wie tragisch das Ganze doch ist. Es ist, als würde der Charakter selbst gute Repräsentation sein wollen, aber immer, wenn sie wieder einen Schritt in die richtige Richtung macht, muss die Autorin das wieder einfangen, um bloß die Narrative zu bedienen, die Nicht-Behinderte gern sehen würden. Ärgerlich.

 

Meinung:

Zunächst einmal das Positive: Der Schreibstil ist wirklich sehr angenehm, fließt nur so dahin. Und die sehr kurzen Kapitel helfen dabei, schnell voran zu kommen. Und wie gesagt ist Amelie, wenn sie einfach sie selbst sein darf, ein toller Charakter. Noch etwas unreif, aber mit 17 Jahren sollte es auch nicht anders sein.

Auch das Setting ist ganz nett – der etwas angestaubte Buchladen ist jetzt nicht unbekannt (Himmel, ich hab auch eine Novelle mit so einem Setting in der Schublade), aber das liegt daran, dass Lesende eben ihre Buchhandlungen gern haben. Solange Leute es mögen, warum nicht?

Und auf den ersten Blick bietet das Buch einiges an Vielfalt. Aber das ist vor allem mit Trauma verbunden. Achtung, Spoiler ab hier.

Wirklich.

Spoiler.

Jetzt echt.

Die lesbische Figur durfte natürlich nie zu ihrer Liebe stehen, weil sie so alt ist und was hätte denn damals die Gesellschaft gesagt? Und ihre offenbar einzige Partnerin, die sie schon vor 40 Jahren verlassen hat, ist auch noch vor Kurzem gestorben.

Die muslimische Figur erwähnt ihre Religion nur in dem Zusammenhang, dass sie vor der Ehe aus religiösen Gründen keinen Sex will, und wie problematisch das denn für die Beziehung ist.

Die Obdachlose ist nur dafür da, damit Marlene ihr immer wieder Essen schenken kann – und, damit sie von Jugendlichen überfallen werden kann, damit Marlene heldenhaft eingreift und deswegen im Krankenhaus landet.

Und Amelie habe ich ja schon erwähnt. Marginalisierte Personen kommen also nur im Kontext mit Traumata oder Problemen vor und dürfen nicht einfach mal nur sein. Und natürlich ist es die weiße, hetero, abled Doktorin, die ihnen allen hilft. Mhm. Die weiße, hetero, abled Doktorin, die zu Karneval mal einen Fatsuit trug, und Dicksein als Kostüm total lustig findet.

Wenn nur einer dieser Punkte zutreffen würde, könnte man vielleicht noch darüber hinwegsehen. Dass aber gleich vier (bzw. fünf) Marginalisierungen vor allem dafür da sind, um die Protagonistin, die von keiner davon betroffen ist, besser aussehen zu lassen, oder aber ihren Plot voranzutreiben, das hat doch ein saftiges Gschmäckle. Und so gut lesbar das Buch auch war, kann ich darüber nicht einfach hinweggehen in meiner Bewertung.

Hinzu kommen ein paar kleinere Ungereimtheiten. (Wie kann sie einen Chef gehabt haben, wenn vorher gesagt wird, sie hat keine Arbeitserfahrung und ihre Dissertation wäre von einem Stipendium gedeckt worden. Und wenn ihr Ex während der Zeit der Prof an ihrem Lehrstuhl war, war er dann nicht eigentlich ihr Doktorvater?) Und ein paar Dinge, die ich als Lektorin noch angemerkt hätte, die aber nur Flüchtigkeitsfehlerchen sind. Naja, von der ständigen Erwähnung der Augenfarbe des Protagonisten mal abgesehen – und ich habe moosgrün gegoogelt, ich bin mir sicher, dass kein Mensch diese Augenfarbe haben kann. Aber wenn er halt irgendwas haben muss, was sie fasziniert? Nichts, was nicht jede andere massenproduzierte Romanze auch hat, und somit zu verschmerzen.

Fazit: 

Es hätte so gut sein können. Wenn man vielleicht mal einen Sensitivity Reader hätte drüberschauen lassen. Oder am besten gleich fünf.

Zwei goldene und drei silberne Sterne, die zwei von fünf Sternen symbolisieren

 

Meinungen anderer Blogger: 

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