Welcher Buchleser kennt das nicht? Man möchte endlich mal wieder neuen Lesestoff in einem Genre finden, das einen gerade mal wieder reizt. Doch wenn man nicht den neuesten Roman eines Lieblingsautors oder einer Lieblingsautorin kaufen kann, weil es da einfach nichts gibt, wird die Suche schon schwieriger.
Das Problem habe ich in den letzten Wochen. Ich schreibe gerade selbst einen Science Fiction-Roman, weshalb ich nebenbei nicht unbedingt Fantasy lesen möchte. Warum nicht? Weil dabei dann meist Fantasy-Ideen aufkommen, die ich nicht sofort nutzen kann. Beim Lesen von Science Fiction hingegen könnte ich manch Idee aber vielleicht gleich nutzen und ins aktuelle Projekt einbauen. Dabei muss man natürlich darauf achten, dass man nur inspiriert wird und nicht klaut. Aber so bleibt man auch in der Freizeit nah am eigenen Werk und driftet nicht in zu weit entfernte Welten ab.
Also habe ich mich auf die Suche nach Science Fiction gemacht. Erst einmal, um zu schauen, was ich mir demnächst ausleihen oder kaufen möchte, nicht, um sofort zu kaufen. Und schon stieß ich auf das erste Problem: Nicht überall erkennt die Suche, dass man nach einem Genre sucht.
Kleine Suchportale – Suche beinahe unmöglich
Im Medienkatalog der physisch vorhandenen Werke unserer Stadtbibliothek sind alle Romane, die nicht Kinder- oder Jugendbuch sind, nicht weiter ausdefiniert. Oh, sie haben verschiedene Signaturen für verschiedene Genres – aber nach Signaturen kann man nicht suchen. Schlagwörter? Fehlanzeige. Bei wenigen Büchern wurde das Genre mit in den Katalog aufgenommen – doch die zwei oder drei, die die Mediensuche da ausspuckt, auf keinen Fall alle. Ich habe das Regalbrett gesehen, als ich das letzte Mal vor Ort war. Es ist zwar immer noch viel zu klein, aber mehr, als das, was die Suche mir ausspuckt.
Und auch bei der Website meines Lieblingsbuchdealers, einer großen, unabhängigen Buchhandlung in der nächsten Stadt, half mir die Suche nicht. Wenn man einen Titel eingibt, kann man sich verschiedene Genres anzeigen lassen. Aber dann muss man ja wissen, welches Buch man will. Einfach nur in einem Genre stöbern? Oder gar Schlagwörter durchforsten? Fehlanzeige.
Auf zu den großen Läden
Etwas besser wird es schon, wenn man zu den größeren Läden geht. Bei Thalia ist der Katalog der vorhandenen oder bestellbaren Bücher zumindest schon einmal nach Genres geordnet – wobei im ersten Moment nicht ersichtlich ist, ob die Selfpublisher, die noch einmal eine eigene Oberkategorie mit anschließender Aufteilung in Genres haben, auch im allgemeinen ‚Science Fiction‘ vertreten sind. In der allgemeinen SciFi hat man nun über 13.000 Treffer (und das sind nur die auf Deutsch erschienenen). Aber die einzigen Filtermöglichkeiten sind hier nun das Erscheinungsjahr, der Preis, das Medium … Dazu wird angeboten, nach Reihen oder nach Autoren zu sortieren. Um hier etwas zu finden, was einem gefällt, muss man also auch schon in etwa wissen, nach welchem Autor man sucht, oder sehr viel Glück und Geduld beim Durchsuchen der vielen Treffer haben. Wenn man nach Bewertung sortiert, findet man zumindest schon mal Bücher, die anderen Lesern einmal Freude bereitet haben. Doch ab dann ist man auf sich selbst gestellt.
Subgenres? Fehlanzeige. Gut, das mag daran liegen, dass es im Deutschen noch weniger einen klaren Katalog an Science Fiction-Unterkategorien zu geben scheint, als im Englischen. Aber zumindest Elemente wie Dystopie und Utopie, Weltraumreisen und Steampunk (also meist eher im viktorianischen Zeitalter angesetzte Geschichten), Hard SciFi mit viel Technobabble und gut erarbeiteten physikalischen und astronomischen Grundlagen und Soft SciFi, die die Wissenschaft eher vernachlässigt, kennt man im Deutschen auch und kann selbst ein Laie identifizieren. Warum wird also nicht danach getrennt?
Am Ehesten eine Trennung findet man noch bei Amazon. Die zu finden, ist aber alles andere als leicht. Im Gegenteil, wenn man zuerst über das Seitenmenü oben link nach Büchern sucht und nicht über den Kindle Shop geht (weil man vielleicht keine Ebooks will, sondern nach Prints sucht), muss man sich erst einmal lange durch die nun gegebenen Filter suchen, um überhaupt Fantasy und Science Fiction trennen zu können. (Warum Vampirromane eine eigene Kategorie sind, darf mir auch gerne mal jemand erklären.)
Weiter scheint es dann nicht zu gehen. Es sei denn, man geht auf ein Buch und das ist zufälligerweise gerade in einer Bestenliste.
Oh Wunder, auf einmal gibt es ja doch Subgenres. Hier zumindest schon einmal Dystopien, und die auch noch offenbar gleich nach Alter sortiert?
Es geht sogar noch besser.
Das ist die einzige Unterscheidung, bei den Subgenres, wenn man nach Printbüchern geht. Und auch hier ist es schon wieder schwer, überhaupt seinen Weg zu finden.
Aber siehe da. Wenn man nicht nach Büchern allgemein sucht, sondern nach Ebooks, findet man plötzlich jede Menge Kategorien. Gut, hier kann man nur sehen, was sich gerade besonders gut verkauft. Alles, was nicht auf diesen Listen ist, kann nicht über Subgenres gefunden werden. Und es ist nicht transparent, inwiefern sich die Listen aus tatsächlichen Käufen zusammensetzt, oder ob Autoren sich hier hochpushen können, indem sie ihr Buch einfach wieder und wieder bei Kindle Unlimited ausleihen. Dass sich aktuell in den ersten 50 der Bestseller keinerlei Verlagsbücher befinden, ist da eher ein Zeichen, dass Kindle Unlimited, woran Verlage sich nur selten daran beteiligen, hier eine Rolle spielt.
Sprich, hier kann man eigentlich nur finden, wer mit Amazon zusammenarbeitet, was fast immer bedeutet: Wer exklusiv über Amazon Ebooks verkauft und verleiht.
Auch nicht das beste Instrument, um sich zu inspirieren zu lassen, welche Science Fiction-Romane man sich in der unabhängigen Buchhandlung vor Ort kaufen (und von ihr liefern lassen möchte, falls man keine Zeit oder Möglichkeit hat, in die Stadt zu fahren). Und vor allem eine gewisse Monopolstellung. Eine verbesserte Suche bietet Amazon nur bei den Büchern, bei denen es als Distributor selbst noch einmal extra verdient.
Es geht auch besser
Warum sollte mich das jetzt überraschen? Bestimmt geht es nicht besser, oder?
Geht es sehr wohl, wenn man nur will. Die englischsprachige (und international, glaube ich, mittlerweile größte) Fanfiction-Website Archive of our own, kurz AO3, macht es vor.
Hier kann man die eigenen Werke unter verschiedenen Oberbegriffen Kategorien zuordnen – und der Leser dann danach suchen. Nicht nur so etwas wie Sprache, sondern auch Ratings, also Altersgruppen, Warnings, so etwas wie ersten, simplifizierten Triggerwarnungen, …
Hier wird angegeben, welche Arten Romanzen es gibt, so dass Leser gezielt nach Geschichten mit LGBT+-Repräsentation suchen können. Und jeder Autor kann so viele zusätzliche Tags, also Beschreibungen, nach denen man sortieren kann, hinzufügen, wie er möchte. Man kann nach Geschichten suchen, in denen ein Strand eine Rolle spielt, oder Online Dating. Man kann nach traurigen Geschichten ohne Happy End suchen, oder nach Fluff (also quietschend süßer Romanze).
Und was noch viel wichtiger ist: Man kann in allen diesen Filtermöglichkeiten auch alles, was einem nicht gefällt, ausschließen. Auf den Buchmarkt übertragen hieße das, dass ich in Science Fiction alle Dystopien ausblenden könnte. Alle Bücher über 300 Seiten. Alle, die eine rein heteronormative Beziehung drin haben – oder alle, die überhaupt Romantik beinhalten. Ich könnte nach genau dem suchen, was ich gerne lesen wollen würde, ohne mich durch fingierte Bestenlisten zu suchen, oder über 13.000 Treffer einzeln absuchen zu müssen – die meist selbst im Klappentext nicht so viel Informationen bieten, wie bei AO3 die reinen Tags.
Und noch viel wichtiger an so einer Suchmöglichkeit wäre: Man könnte Triggerwarnungen viel besser sichtbar machen, indem zumindest bei der Onlinesuche jeder Bücher mit seinen persönlichen Triggern einfach gleich ausschließen kann.
Nun frage ich mich: Warum kann eine rein von Spenden finanzierte Seite ein so exzellentes Suchwerkzeug einrichten, ein Milliarden-Dollar-Konzern aber nicht?
Denn natürlich kann ich verstehen, dass eine kleine Bibliothek oder eine unabhängige Buchhandlung das System nicht ohne Weiteres umstellen kann. Wie auch? Sie können nicht mal eben alle Bücher im Sortiment lesen, um zu schauen, welche Kategorien zutreffen.
Aber ein Marktriese wie Amazon könnte den Anfang bilden, Autoren und Verlage mit einbinden, so, dass die Werke gleich mit allen wichtigen Tags versehen hochgeladen oder in die Seite eingefügt werden. Und wenn erst Amazon einen solchen Service hat, also einen Vorteil auf dem Markt hat, werden alle anderen doch hoffentlich nachziehen, soweit es ihnen möglich ist. Doch offenbar kommt bisher niemand auch nur auf die Idee – nur Hobbyautoren unter sich, weil sie genau wissen, was sie brauchen, damit ihre Werke gefunden werden, und, damit sie selbst finden, was sie lesen wollen. Komisch. Wenn Leser für Leser, Autoren für Autoren arbeiten, dann geht es plötzlich, sogar ohne damit Geld zu verdienen.
Es ist wohl unnötig, zu sagen, dass ich bei meiner Suche noch nicht fündig geworden bin. Nicht wirklich, jedenfalls. Warum?
Ich suche utopische Science Fiction, die nicht am Ende als Dystopie enttarnt wird. Wie Star Trek in den ersten beiden Serien, auch mit genauso viel Humor. (Denn leider sind die Star Trek-Romane fast alle deutlich düsterer und politisch deutlich weniger utopisch.) Oder wie The Orville.
Und ich suche nach Büchern, die die Kolonialisierung neuer Planeten beschreiben, gerne so detailreich, wie beim Marsianer Mark Watneys Kampf ums Überleben beschrieben wurde. Aber ohne große Feinde. Ohne, dass im Dunkeln Monster lauern. Ohne drohende Kriege.
Aber wie findet man das, ohne Tags? Ich konnte bisher noch nicht einmal herausfinden, ob es solche Bücher überhaupt gibt.
Buchtipps
Zum Abschluss für die, die jetzt auch auf solche Bücher Lust bekommen haben, ein paar Tipps an Büchern, die dem zumindest relativ nahe kommen.
- Aquaterra-Reihe von Bernd Perplies und Christian Humberg ist so etwas wie deutsches Star Trek für Kinder so ab 10 Jahren. In einer Stadt auf der Erde, in der verschiedene Spezies zusammenleben, erlebt eine Gruppe Kinder (ebenfalls nicht nur rein menschlich) mit einer KI zusammen Abenteuer.
- Wayfarer-Reihe von Becky Chambers. Hier bin ich erst beim zweiten Band, aber Wayfarer ist ein bisschen wie Star Trek, nur …dreckiger. Im Sinne von industrieller. Die Gesellschaft ist noch nicht so glänzend und beinahe schon sterilisiert. Dafür, dass sie nicht ganz so utopisch ist (aber auch weit entfernt von einer Dystopie), bietet die Reihe aber moralische Überlegungen, die sehr an Star Trek erinnern, und in der Diversität darüber hinausgehen. Und: Neutrale Pronomen bei den Lebensformen, die nicht gezielt auf männliche oder weibliche Pronomen bestehen!
- Der Marsianer von Andy Weir. Jetzt sind wir schon weg von Utopien und eher bei der Kolonialisierung. Obwohl der Marsianer eigentlich genau das Gegenteil darstellt, will Mark Watney doch einfach nur überleben und vielleicht sogar nach Hause zur Erde, sind die Details im Kampf darum, Essen auf dem Mars anbauen zu können, einfach herrlich zu lesen.
- Eventuell: Die zweite Erde von Christian Humberg. In dieser Kurzromanreihe bin ich noch nicht weit genug, um viel darüber sagen zu können. Sie hat aber alle Anlagen, um in eine ähnliche Richtung wie der Marsianer zu gehen. Überleben auf einem bisher unwirtlichen Planeten.
Ihr habt noch Tipps? Her damit. Oder ihr wollt euch darüber auslassen, wie unglaublich nervig – oder besonders gelungen – ihr die Suchmöglichkeiten eurer Wahlbuchhandlung findet? Schreibt es mir in die Kommentare.