“Dann lies halt was Anderes” – meine Probleme mit Romanzen, und warum ich Romanzen eigentlich dennoch gern lese

Bevor wir hier loslegen: Das wird kein Bashing des Genres Romantik/Romanze im Allgemeinen. Im Gegenteil. Ich lese eigentlich sehr gern romantische Geschichten. Nur mit dem, was mir auf dem Markt über den Weg läuft, im Vergleich zu dem, was sein könnte (und was ausgerechnet wieder Fanfiction oft zumindest etwas besser bietet), hab ich so meine Probleme.

Herzlich willkommen bei … endlich wieder einem Artikel. Es ist so lange her, dass ich etwas hatte, worüber ich schreiben konnte. Deshalb … lasst mich gleich mal losranten, was mich bei Romanzen oft nervt.

Vorweg aber erstmal ein CN: Binärität, Heteronormativität. Denn ja, die meisten Romanzen, die mich im Buchhandel oder der Onleihe angesprungen haben, fokussieren sich auf Beziehungen zwischen Mann und Frau. Es kam mal vor, dass es das Klischee des schwulen, besten Freundes gibt, und manchmal hat sie – immer sie, nie ihr Love Interest – auch gleichgeschlechtliche Erfahrungen gesammelt, aber wenn, dann wird gleich unbedingt noch klar gestellt, dass sie trotzdem nicht Bi oder Pan ist, sondern das nur ‘eine Phase’ gewesen sei.

Weitere CN: Beispiele für Acefeindlichkeit und Ableismus/Sanismus im Artikel.

 

Liebe ist nicht zwangsläufig gleich Sex

 

Für einen Großteil der Weltbevölkerung ist gehen Liebe und Beziehung einher mit Sex, gar kein Thema. Aber oft wird in Romanen Liebe nur durch Sex dargestellt. Er schläft nicht mehr mit ihr? Oh, dann liebt er sie sicher nicht mehr. Und das ist dann nicht nur die Überlegung einer unsicheren Protagonistin – bis hierhin völlig okay, weil das vielleicht ein wichtiger Bestandteil ihrer Beziehung war, dessen Fehlen ihr gerade akut auffällt – es wird auch wieder und wieder in den Romanen dann durch die Geschichte untermauert. Und wenn sie – ja, es ist fast immer eine sie – dann einen neuen Mann kennen lernt, endet die Geschichte dann gern, wenn sie nach langem Hin und Her endlich im Bett landen, weil das natürlich DAS international anerkannte Zeichen dafür ist, dass man sich liebt und endlich, endlich eine Beziehung begonnen hat. Ach, nee, Moment, gibt es nicht auch One Night Stands, Friends with Benefits,…? Ach, psst, lassen wir doch die Wirklichkeit nicht unsere rosarote Blase kaputt machen.

Das geht so weit, dass ich als Asexuelle bis heute keine Ahnung habe, was eine Beziehung denn ausmacht und von reiner Freundschaft trennt – weil sämtliche anderen Aspekte von Romantik, Vertrauen, Zuneigung in Geschichten wegfallen, sobald das vorsichtige Umwerben abgeschlossen ist und sie im Bett landen. Vorbilder in den Medien gibt es einfach keine.

Dabei ist diese Zwangsverkoppelung von Sex und Liebe nicht nur partiell wirklichkeitsfremd, und kann sogar bei jungen Menschen schädliche Herangehensweisen an Beziehungen fördern, sie fördert auch Acefeindlichkeit. Weil damit der Glaube einher geht, dass Beziehungen ohne Sex eben ‘nur Freundschaft’ sind, oder Menschen, die keine sexuelle Anziehung verspüren, nicht lieben könnten. Bullshit!

 

Zugänglich oder nicht: Markiert eure verdammten Sexszenen 

 

Und wo wir gerade beim Thema Sex sind. Je nach Studie sind zwischen einem und vier Prozent der Menschheit asexuell. Klingt wenig, aber das wären nach aktuellem Stand mindestens um die 80 Millionen Menschen. Nicht alle davon haben ein Problem mit Sexszenen, tatsächlich gibt es unter Asexuellen mehr Sub-‘Kategorien’, die letztlich Sex im Allgemeinen gegenüber relativ positiv eingestellt sind. Dennoch dürfte auch die Zahl der sex-repulsed Menschen allein unter Asexuellen schon nicht gerade gegen Null gehen und hinzu kommen Menschen mit Traumata, die vielleicht – zumindest nicht ohne Vorwarnung – in eine Sexszene stolpern sollten.

Also, es ist völlig okay, wenn ihr, liebe Schreibenden, meint, dass Sexszenen in eurem Roman wichtig sind, oder ihr und euer Zielpublikum halt einfach Spaß dran habt. Kein Thema. Aber dann markiert das doch bitte so, dass Kaufende, ob im Laden oder Online, vorher wissen, was sie kaufen und einfach informierte Entscheidungen treffen können. Oder auch nur das Buch nach aktueller Stimmung wählen können und dann eben zu eurem Buch greifen, wenn ihnen mehr nach steamy Geschichten ist, und zu fluffig-leichter Romantik (oder Anderem), wenn das eben nicht der Fall ist.

Tut es denn wirklich wem weh, Lesenden für die Entscheidung nötige Informationen an die Hand zu geben?

 

Du kennst sie zwei Wochen, das ist noch keine Liebe, verdammt

 

Ein weiteres von den großen Problemen ist, wie hier Liebe definiert wird. Oft kennen sich die neuen Paare beim Ende der Geschichte erst ein paar Wochen und haben an diesem Punkt dann schon auf der Beziehung basierende, einschneidende Lebensentscheidungen getroffen. Dabei deuten neurologische Untersuchungen darauf hin, dass das … nun, keine gute Idee ist. Denn in den ersten Monaten einer frischen Beziehung findet diese noch vor allem in dem Hirnareal statt, dass auch besonders bei gewissen Psychosen und Zwangsstörungen aktiv ist. Erst nach etwa einem halben Jahr übernimmt dann das Hirnareal, was tatsächlich für Bindungen zuständig ist. Es gibt sogar eine Studie, die dasselbe Phänomen in Blutwerten nachweisen zu können behauptet. (Ich sage behauptet, weil ich die Studie für diesen Text gerade gelesen habe und sie für mich als jemand mit wissenschaftlichem, aber nicht neurologischen Hintergrund, nicht ganz stimmig wirkt.)

Auch hier finde ich es schädlich, dass diese Zeit frischer Liebe als das Nonplusultra dargestellt wird – weil das einfach falsche Erwartungen weckt. Dieser Zustand kann in einer Beziehung nicht anhalten und hat halt nichts mit realen Bindungen zu tun. Wer das und nur das will, soll das natürlich so leben. Aber man sollte Lesenden nicht einreden, dass das der einzig wahre Zustand von Liebe sei – und man dann auch noch für frische Bekanntschaften sein Leben wegwerfen soll. 


 

In Ordnung, das waren die drei Punkte, über die ich ohnehin schon oft genug in sozialen Medien rante. Jetzt komme ich erst zu meinen eigentlichen Auslösern für den heutigen Artikel.

 


 

Er hat sich von mir getrennt, er ist so böse

 

Ich bin heute, nicht zum ersten Mal, darüber gestolpert, dass ein Roman damit anfängt, dass sie – ja, erneut, es sind fast immer Frauen – gerade verlassen wurde, und jetzt nicht nur sie selbst verständlicherweise traurig ist, sondern sie und ihr Umfeld alles daran setzen, ihren Ex als das absolute Böse darzustellen. Und das oft, ohne, dass er etwas anderes getan hat, als einfach offen zu sagen, dass er keine Liebe mehr für sie empfindet und die Beziehung deshalb nicht fortführen will.

Und wie gesagt, natürlich darf sie zurecht traurig und verletzt sein. Aber das Framing, er hätte ihr über Jahre was vorgemacht, nur, weil er sich jetzt (auch noch ohne Betrug) trennt? Auch das kommt mir nicht zum ersten Mal unter. Und for fuck’s sake, normalisiert doch endlich, dass man sich auch trennen darf. Dass damit nicht die ganze Beziehung eine Lüge war, sondern es völlig normal ist, dass sich Gefühle auch ändern können und man dann nicht gezwungen sein muss, den Rest des Lebens zusammen zu bleiben, nur, weil man sich vor Jahren mal entschieden hat, eine Beziehung einzugehen.

Und ich spreche hier nicht einmal von Ehe. Da finde ich schon, dass man sich, wenn man sich das Versprechen von ‘für immer’ gibt, zumindest Mühe geben sollte, sich daran zu halten, wenn keine besonderen Umstände vorliegen. (Deshalb bin ich persönlich der Meinung, dass Ehe als Norm auch abgeschafft gehört und nicht leichtfertig eingegangen werden sollte, sowie die rechtlichen Vorteile nicht auf dieses Konstrukt beschränkt werden sollten. Oder man lässt wenigstens das ‘Für immer/bis zum Tod’ aus dem Text weg.)

Aber nein, hier geht es auch noch nur um eine Beziehung, ohne rechtliche Versprechungen. Und dann wird er sich doch verdammt noch mal trennen dürfen, wenn er sie nicht mehr liebt! Und das, ohne, dass er der Böse ist.

 

Darf’s noch ein bisschen mehr Trauma sein?

 

Ich geb zu, da bin ich mit im Club, bei einem Roman, an dem ich gerade sitze. Nicht zu dem Punkt eines psychologischen Traumas – was in Romanen und auch im Volksmund als Trauma bezeichnet wird, und was die tatsächliche, psychologische Definition ist, ist ja noch mal ein ganz anderes Fass. Aber ja, meine Protagonistin hat auch eine etwas traurige Vorgeschichte, die sie jetzt vorsichtiger im Eingehen von Beziehungen macht. Sie ist nicht depressiv oder besonders unglücklich, traut nur Verliebtheit nicht mehr so sehr.

Dennoch geb ich zu, dass ich damit in ein Klischee falle, dass an sich nicht von Natur aus toxisch ist – aber langsam Überhand nimmt. In den letzten zwei oder drei Jahren hab ich so einige Romanzen begonnen und oft abgebrochen (aber meist aus anderen Gründen als nur dem Auftreten von traurigen Hintergründen), teils beendet, die ihre Protagonistin wie jemanden darstellen, der mehrere hundert Folgen einer Daily Soap durchlebt hat. Eine schwierige Trennung ist da das Harmloseste und bis hin zu miterlebtem Mord ist da alles dabei, was sonst eher in Hardcorekrimis zu finden ist.

Kein Thema an sich – wenn wir jetzt mal von mangelnden Content Warnungen absehen. Im Gegenteil, eigentlich würde das ja erstmal Hoffnung auf mehr Repräsentation machen? Aber oft wird das nur genutzt, um der Protagonistin überhaupt einen Hauch von Charakter zu geben. Es wird nicht wirklich sensibel mit dem Thema umgegangen – und wenn es mal mehr Raum einnimmt, werden oft Begriffe wie ‘vorgeschädigt’ genutzt, die implizieren, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen kaputt ist – und natürlich durch Liebe geheilt werden muss, Ableismus, ick hör dir trappsen. Aber, dass sie dann tatsächlich eine Therapie machen würde, Selbsthilfegruppen besucht oder irgendwie anders auch nur erwähnt wird, dass man Hilfe bekommen könnte und nicht auf Heilung durch Liebe warten soll, und, dass man auch mit sogar richtigem Trauma ein toller Mensch sein kann und sich nicht nur dadurch definieren muss? Fehlanzeige.

Protagonistinnen (auch, fast immer nur sie, nur manchmal darf ihr neuer Kerl auch, damit er einen Grund hat, trotz bombastischem Job und Reichtum noch Single zu sein) ohne wirklich dramatische Vorgeschichte findet man immer seltener. Und was im ersten Moment so wirkt, als würde damit Mental Health und Repräsentation Betroffener mehr Raum gegeben werden, entpuppt sich dabei halt oft leider als Luftnummer.

 

Nur noch kurz die Welt retten, diesen Mord aufklären,…

 

Auch das ist eine Entwicklung, die ich in letzter Zeit sehe. Eigentlich überhaupt kein Problem. Immer mehr Romanzen sind halt nicht nur, wie früher ab und an der Fall, gleichzeitig Familiensaga/Schicksalsroman, sondern auch Krimi – wenn auch oft, ohne, dass auch nur einmal ein Polizist auftritt.

Das, was hierbei das einzige Problem ist, ist, dass das manchmal weder im Klappentext noch sonst wie erkenntlich gemacht wird. Ich habe zwei Romane gekauft, die als luftig-leichte Romanze zum Wohlfühlen angepreist wurden. Und bei einem ging es dann um die Aufklärung des Mordes an einem Familienmitglied, beim zweiten ist ein Familienmitglied seit Jahren verschollen (und letztlich auch tot, aber durch Unfall), und man kommt einer Sekte samt sexueller Übergriffe auf die Spur. 

Beide Romane waren ganz gut, so ist es nicht. Aber sie waren eben weit von dem entfernt, als was sie angepriesen wurden und wofür ich sie gekauft habe. 

 


Das ist ja alles schön und gut, aber was willst du denn jetzt? Du sagst doch, du magst Romantik, machst jetzt aber alles schlecht?

 

Ich mag Romantik ja auch. Das langsame Entwickeln von Freundschaft zu Beziehungen. Beziehungsdynamiken während Raumschiffmissionen oder gemeinsamen Abenteuern (denn sowas kenne ich wirklich nur aus Fanfiction). Oder luftige ‘Ich mach mal eben einen Buchladen auf, ach guck, der Nachbar ist nett, aber mag er mich auch wirklich?’, gern auch richtig klischeehaft am Strand.

Nur eben ohne Sexszenen – oder so markiert, dass ich vorgewarnt bin und überspringen kann. Und ab da wird es kompliziert. Denn bestimmt gibt es sowas auch auf dem Buchmarkt. Aber finden kann man sowas schwer. Und tatsächlich muss ich so immer wieder eher auf Fanfiction zurückgreifen. Aber Leute, nach der hundertsten Geschichte über Kirk und Spock, Luke und Lorelai oder Barbara Lake und Walter Strickler hätte ich halt auch gern mal wieder was Neueres. Vielleicht sogar was, wo ich mich selbst wiederfinden kann, weil die Geschichte nicht beim Zusammenkommen endet (weil fast immer alle, die weiter gehen, aussortiert werden, wenn ich Mature/Explicit ausschließe), und so auch mal eine Beziehung ohne Sex erkundet wird?

(Und ja, es gibt Ausnahmen, auch Abseits von Fanfiction. Da kenne ich sie jedoch nur privat verlegt auf eigenen Websites. Wo sind die auf dem richtigen, großen (Massen)-Buchmarkt? In den großen Verlagen? Wo bleibt die Abwechslung, oder wenigstens mal vernünftige Warnhinweise, damit man nicht wieder und wieder in Szenen rennt, die einem im schlimmsten Fall sogar körperliche Probleme bereiten. (Und ja, ich bin bei einer Schottlandromanze mal an eine Szene geraten, die so furchtbar – für mich – geschrieben war, dass ich den CN Emetophobie bräuchte, um meine Reaktion zu erzählen.)

 

Und natürlich gilt, wem das Spaß macht und wer das gern liest, für die Person freue ich mich. Bis auf ein paar Tropes (Heilung durch Liebe, wer keinen Sex hat, ist kaputt), ist das alles ja völlig in Ordnung und überhaupt nicht schädlich. Ich fände es nur schön, wenn Romantik mal wieder …mehr wird. Und mehr Lebenserfahrungen und Geschmäckern Zugang bietet, statt, dass man auf die Kritik nur zu hören kriegt ‘Dann lies halt was anderes’ – ja, das kriegt man wirklich sehr oft an den Kopf geknallt.

Nein, verdammt. Natürlich sollten Schreibende nicht gezwungen werden, gegen ihre Natur Romane so zu schreiben, wie ich sie lesen mag. Aber Leute aus einem Genre zu vertreiben, das sie mögen, nur, weil sie etwas andere Bedürfnisse haben, ist halt auch scheiße – und im Fall meiner Kritik oft acefeindlich. Und das kann es halt einfach auf Dauer nicht sein. Nicht, wenn das Genre einfach noch viel mehr könnte.

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