Christine Nöstlinger – Gretchen Sackmeier

Buchdetails

  • Erinnert an: /
  • Genre: Jugendbuch (von der Altersgruppe her), Erstlesebuch (vom Sprachstil her)
  • Erscheinungsdatum: Erstauflage 1981, vorliegende 2005
  • Verlag: Beltz&Gelberg
  • ISBN: 3-407-78672-7
  • Taschenbuch 215 Seiten
  • Sprache: Deutsch
  • Trigger: Sexuelle Belästigung, Mobbing, häusliche Gewalt, Alkoholmissbrauch, Bodyshaming

Klappentext: 

Gretchen Sackmeier ist 14 Jahre alt und ein bisschen dick. Alle Mitglieder der Familie Sackmeier sind dick. Trotzdem leben sie glücklich und harmonisch zusammen. Bis zu Mamas Klassentreffen jedenfalls, denn seitdem hat sie sich in den Kopf gesetzt abzunehmen. Der Grund: Sie ist verliebt! Das sorgt natürlich für gewaltige Turbulenzen im Hause Sackmeier.

Inhalt: 

Zunächst mal ist der Klappentext etwas missverständlich. Mutter Sackmeier ist diejenige, die abnehmen will. Gretchen will das nicht so unbedingt, sie aber ist diejenige, die verliebt ist.

Familie Sackmeier ist glücklich. Die Mutter kocht und macht den Haushalt, der Vater arbeitet als Prokurist und die Kinder sind halt ein wenig zu dick, und werden deswegen auch etwas aufgezogen, aber ein großes Thema ist Mobbing in ihrem Leben dennoch nicht.

Doch als Mutter Sackmeier von ihrem Klassentreffen wiederkommt, ist alles anders. Plötzlich will sie abnehmen und einen Nebenjob. Geld für sich selbst verdienen. Das bringt das Leben durcheinander und sorgt für Streit. Und zur gleichen Zeit merkt Gretchen auch noch, dass sie sich in den Jungen verliebt hat, der sie gern einmal ärgert. Natürlich steht das Leben da Kopf.

 

Charaktere: 

Mit Ausnahme von Gretchen könnte man alle gegen die Wand klatschen.

Der Vater ist ein konservativer Pascha, der schon vor der Hochzeit klar gemacht hat, dass seine Frau bitteschön niemals arbeiten soll. Kaum hat die Frau aber ihren eigenen Kopf, holt er sich seine Mutter ins Haus, anstatt selbst mal einen Finger krumm zu machen.

Die Mutter wiederum ist oberflächlich betrachtet eigentlich recht vernünftig, versucht erst, niemanden unter ihren Entscheidungen leiden zu lassen. Dass sie dabei völlig die Kommunikation untergräbt und Probleme dadurch erst zusätzlich anheizt, scheint sie nicht zu begreifen.

Und die jüngeren Kinder Hänschen und Mädi ergreifen jeweils Seiten und sind nicht zu reflektierten Diskussionen in der Lage. Und während man das von Mädi mit ihren sechs Jahren auch noch nicht unbedingt erwarten können muss, ist Hänschen mit seinen zwölf eigentlich in einem Alter, in dem man schon etwas beginnende Reife erwarten sollte.

Gretchen, die Protagonistin, ist hier die Einzige, die versucht, ihr Handeln und das aller anderen ein wenig zu reflektieren und erst auf Basis ihrer Überlegungen Entscheidungen zu treffen. Dass das in der Pubertät vielleicht nicht immer klappt, ist dabei völlig verständlich. Aber dennoch scheint sie noch die einzige Erwachsene in diesem Buch zu sein.

Meinung:

Tatsächlich war ich hier wieder und wieder überrascht. Zuerst aufgrund des Stils des Buches. Der erinnert mit seinen kurzen, unkomplizierten Sätzen eher an ein Erstlesebuch als an ein Jugendbuch. Das fand ich zwischendurch schon richtig störend.

Auch die Sprache selbst war etwas … fern von dem, was ich gewohnt bin, was allerdings eher an den vielen österreichischen Begriffen liegt.  Viele kann man sich noch irgendwie herleiten, bei manchen Sätzen weiß ich aber auch nach dem Lesen nicht, was dort gesagt werden sollte.

Aber vor allem die inhaltliche Ebene hat so einige Stellen, die einfach merkwürdig erscheinen.

Es geht schon damit los, dass eine Mutter ihre Kinder über mehr als einen Tag hinweg einfach nur anknurrt. Natürlich kann man mal mies drauf sein, aber zumindest das kann man dann doch kommunizieren? Anstatt, dass die Kinder sich Sorgen machen, rätseln und Theorien basteln, warum die Mutter denn gerade so drauf ist. Das ist etwas, was absolut nicht in mein Weltbild passt. Ein ‚Bitte lasst mich in Ruhe‘ wäre deutlich weniger schädigend als komplette Ablehnung jeglicher Kommunikation.

Dann hat Gretchen offenbar nur eine einzige Freundin, die auch nur alle paar Wochen ein paar Momente für sie Zeit hat und sie die restliche Zeit ignoriert. Die, mit der Gretchen sich aber offenbar ganz gut unterhalten kann, und der sie nach einer Party beim Aufräumen hilft, ist keine Freundin?

Die Mutter wiederum vermittelt das Bild, dass man nur erfolgreich und glücklich sein kann, wenn man dünn ist. Obwohl sie es nur für sich möchte und nicht verlangt, dass ihre Familie es genauso sieht, ist der Grundton des Buches der, dass immer wieder körperliche Eigenheiten rausgestellt werden, die dann negativ angeführt sind. Gretchen hat mit den angegebenen Maßen nur sehr knapp überhaupt Übergewicht, fühlt sich aber schon zu dick. Sie selbst macht sich in Gedanken etwas über einen Kellner lustig, der vielleicht nicht ganz so hübsch ist, ihre Mutter will abnehmen für einen Job, … Und Mittel der Wahl zum Abnehmen ist hier natürlich auch noch eine Radikaldiät, obwohl die alles andere als gesund ist.

Das war aber noch das harmloseste im Buch. Gretchen wird hier sexuell belästigt – der Junge, der sie liebt, fasst ihr ohne ihre Erlaubnis an die Brüste – und obwohl sie kurz verletzt ist, entscheidet sie sich doch, hinterher wieder mit ihm kuscheln zu wollen? Mobbing wird hier ziemlich extrem betrieben – eine ganze Familie steht am Fenster, wann immer die Sackmeiers wegfahren, um sich darüber lustig zu machen, wie sie sich ins Auto quetschen – und doch eigentlich gar nicht thematisiert?

Und häusliche Gewalt kann man einfach so wieder vergessen? Zumal angedeutet wird, dass sie eventuell auch in einem anderen Kontext stattfindet, denn wieso sonst sollte ein Klassenkamerad von Gretchen nach einem kleinen Fauxpas eine ganze Woche in der Schule fehlen und hinterher Angst vor seinen Eltern haben?

Dass Kinder unter 16 hier offenbar völlig normal Whisky trinken, fällt da schon nur noch unter ‚ferner liefen‘.

Dieses Buch erzählt auf seinen gerade mal etwas über 200 Seiten so viele problematische Dinge, ohne sie dann anständig aufzuarbeiten, dass man zumindest sagen kann, dass es schlecht gealtert ist. Es bietet kein gutes Vorbild für die Leser. Gesunde zwischenmenschliche Beziehungen gibt es hier absolut nicht, weder auf freundschaftlicher, noch auf geschwisterlicher, noch auf romantischer Ebene, aber es wird auch nicht thematisiert, was falsch läuft. Was man sich vielleicht auch nur besser wünschen würde.

Obwohl die Geschichte also wirklich guten Stoff bietet, ohne dabei zu sehr ins Überdramatische abzustürzen, wie es heutige Jugendbücher machen, lässt sie mich kopfschüttelnd zurück. Ich verstehe nicht, warum alle dieses Buch so sehr lieben, wenn es doch auch schon Grundsteine von Rapeculture beinhaltet, die nicht aufgearbeitet werden. So vieles hätte hier noch reingemusst, so vieles hätte bearbeitet werden müssen. So wird einfach nur die Botschaft vermittelt: Leb einfach weiter, es wird schon irgendwann gut. Und das ist auf so vielen Ebenen falsch.

 

Fazit: 

Gute Protagonistin, aber viel zu viele falsche Botschaften.

 

Meinungen anderer Blogger: 

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