Heute möchte ich mich mit einem Thema befassen, dass mir immer wieder auffällt. Aber nicht etwa in Büchern, sondern vielmehr in Fanfictions. Es geht um Neurodiversity, psychische Erkrankungen und deren Darstellung in Fiktion.
Was ist Neurodiversity?
Im deutschen Sprachraum wird es vor allem für eine Bewegung und das ihr zugrunde liegende Konzept genutzt, das besagt, dass neurologisch atypische Entwicklungen nur völlig normale Unterschiede zwischen Menschen sind, wie wir sie eben alle haben. Wir unterscheiden uns in Augen-, Haar- und Hautfarbe, Muskel- und Fettverteilung, in Körperform, Religion, Geschlecht, und eben auch in unserer neurologischen Entwicklung.
Das Konzept wendet sich gegen die Annahme, dass unterschiedliche Entwicklungen, wie zum Beispiel das Autismusspektrum, als krankhaft abzutun sind.
Neben Autismus beinhaltet das Konzept auch AD(H)S, Lernschwächen und Ähnliches.
In diesem Artikel soll es allerdings vor allem als Dachbegriff für die darunterfallenden Ausprägungen menschlicher Entwicklung dienen.
Und ich möchte mich auch gleich dafür entschuldigen, dass ich hier beides, Neurodiversity und psychologische Erkrankungen, über einen Kamm schere. Ich habe nur bei beiden die gleiche Tendenz ausgemacht, die ich hier ansprechen will.
Psychologische Erkrankungen und Entwicklungsvielfalt in Büchern
Und damit komme ich zum Grund meines Beitrags. Ich lese gerade einen Fanfiction, in der die Depression von ihrer rauen, dreckigen, lähmenden, ohrenbetäubenden, schmerzhaften Seite gezeigt wird. Die Gedanken, dass ein Mensch nichts wert ist, nur weil jemand unwissentlich – nicht einmal bösartigerweise – etwas falsches gesagt hat. Der Gedanke an Selbstmord, diese mentale Lähmung, überhaupt aufzustehen. Die Unmöglichkeit, auch nur ein Licht am Ende des Tunnels zu erhoffen. Obwohl das nur ein kleiner Nebenaspekt der Geschichte ist, die ich gerade lese, fiel mir auf, dass kaum ein Buch mal so in die Tiefe geht. Kaum ein Buch (das ich kenne) zeigt die wirklich dreckige Seite einer psychischen Erkrankung. Oder die harten, lähmenden Aspekte von Autismus.
Vermutlich lese ich auch die falschen Bücher
Ich suche nicht explizit nach solchen Büchern. Ich bin mir sicher, dass es so etwas auch gibt. Zum Beispiel 13 Reasons Why, das grausam-schön als Serie umgesetzt wurde, zeigt sehr wohl, wie Verletzung und Trauma zum Selbstmord führen können. Ich kenne nur die Serie selbst, nicht das Buch, aber dort ist nichts geschönt.
Nur, warum schaffen das viele andere Bücher nicht? Ich lese ja vor allem Fantasy und Science Fiction, also Bücher, bei denen selten überhaupt normale menschliche Eigenheiten, das reale Leben, durchkommen. Und das ist völlig okay. Ich will nicht sagen, dass wir unbedingt mehr Autisten in Büchern brauchen. Oder mehr Depressive. Dass sie eine Quote erfüllen müssen. Wenn die Helden gerade aufbrechen, um einen Drachen zu erschlagen, verlange ich nicht, dass einer der Ritter an schlechten Tagen nicht aus dem Bett kommt.
Aber, was mir wirklich aufgefallen ist, ist, dass WENN mal so etwas in Büchern vorkommt, es oft beschönigt oder verniedlicht wird.
Beispiele gefällig?
Nun, dann muss ich hier erstmal vor SPOILERN warnen!
Also gut, los geht es. In „Das Rosie-Projekt“ von Graeme Simsion treffen wir Don Tilman. Es wird nur angedeutet, aber Don kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Autismusspektrum zuordnen. Er ist … sonderbar. Auf für den Leser lustige Weise. Und wir sehen tatsächlich, dass es deswegen Probleme gibt. Aber nie hat er die wirklich selbst. Es ist immer nur die Reaktion anderer auf ihn, die wirklich problematisch ist. Er hadert nie damit, wie es wäre, wenn er sich nur ändern könnte. Er stürzt deswegen nicht in Depressionen. Er weiß, dass andere manchmal Probleme damit haben, aber er hat seine Routinen und damit ist alles gut.
Was vollkommen in Ordnung ist! Natürlich gibt es das. Es gibt Leute, die ihren Frieden mit sich und der Welt geschlossen haben und das ist schön so. Und darüber darf auch geschrieben werden.
Wir kommen zum „Glücksbüro“ von Andreas Izquierdo. Hier wohnt der Protagonist seit Jahren (Jahrzehnten?) heimlich in dem Amt, in dem er arbeitet. Alles ist absolut geregelt. Er hat seine Routinen und es geht ihm damit gut. Plötzlich ändert sich alles. Aber er kommt recht schnell damit klar. Er kann seine Routinen mal eben so an den Nagel hängen.
Beispiel drei ist „Im freien Fall“ von Jessica Park. Ein Buch, dass ich sehr gern mochte, und auch empfehlen mag. Aber nachdenklich stimmte es mich dennoch. Eine junge Studentin wurde bei der Wohnungssuche betrogen und hat nun kein Dach über dem Kopf. Spontan bietet ihr eine alte Freundin ihrer Mutter an, bei ihr und ihrer Familie zu wohnen.
Über den Lauf des Romans erfährt man, dass die Tochter der Familie sich erst bewusst eine Scheinwelt gebaut hat, aus dieser aber nicht mehr wirklich ausbrechen kann, ohne Hilfe. Sie kann nicht aus dem Haus gehen, hat Angst vor allem. Aber seltsamerweise kann sie jeden Tag ganz normal in die Schule gehen. Dort wird sie zwar nicht gemocht, aber es klappt dennoch. Sie funktioniert.
Und nebenbei erfährt der Leser, dass die Mutter wohl depressiv ist. Aber wirklich elaboriert wird das nicht. Es gibt nur eine einzige wirkliche Szene dazu, in der sie betrunken und ein wenig weinerlich ist. Mehr nicht.
Was genau ist jetzt mein Punkt?
Ich habe das Gefühl, dass psychische Krankheiten, aber auch neurologische Besonderheiten oft nur Mittel zum Zweck in Büchern sind. Teils möchten die Autoren auch das Augenmerk darauf lenken, dass es sie gibt, natürlich. Aber kaum jemand traut sich, wirklich die Schattenseiten zu zeigen. Womit die Betroffenen zu kämpfen haben. Sich wirklich hineinzuversetzen und es dem Leser begreiflich zu machen.
Teilweise wird verniedlicht, wie bei Don Tilman (oder Sheldon Cooper bei Big Bang Theory) und zur Unterhaltung genutzt. Was völlig in Ordnung ist, solange es nicht auf Kosten der Betroffenen geht. (Und das tut es hier nicht. Ich liebe das Rosie-Projekt und obwohl ich selbst vermutlich im Autismusspektrum zu finden bin, hat es mich gut amüsiert. Und ich konnte mich gleichzeitig mit Don identifizieren.)
Teilweise wird einfach der ‚dreckige‘ Teil rausgelassen. Man geht nicht in die Tiefe, zeigt nicht, wie verzweifelt Betroffene sind, zeigt nicht die schlechten Tage, versucht aber nicht, es darüber hinaus zu beschönigen.
Teilweise wird aber auch einfach der Anschein erweckt, dass nur der richtige Mensch kommen muss, und schon sei alles wieder in Ordnung. Vielleicht ist der Protagonist sogar ‚geheilt‘. Aber in jedem Fall kann er nur glücklicher sein, wenn er sich den ‚Normalen‘ anpasst. In solchen Büchern wird nicht nur nicht die wirkliche Schattenseite gezeigt, am Ende ist auch nichts mehr von dem übrig, was den Protagonisten einst ausgemacht hat.
Könnte das schädlich sein?
Wir leben in einer Welt, in der viele, selbst Betroffene, noch immer falsche Vorurteile über Depressionen haben. Dass ein Spaziergang oder Schokolade heilen könnte. Dass Depressionen nur durch Traumata, nicht durch chemisches Ungleichgewicht, nicht durch Gene ausgelöst werden könnte. Außerdem denken viele, dass man nur einmal schnell in psychologische Behandlung müsse, dann sei man geheilt und wieder völlig ’normal‘.
Und bei Autismus? Die wunderbare Daniela Schreiter sagte so schön: „Kennt man einen Autisten, kennt man genau einen Autisten.“ Auch hier gibt es viel zu viele Vorurteile. Alle hätten Inselbegabungen und seien kleine Genies auf der einen Seite, alle leben in ihrer eigenen Welt und nehmen ihre Umwelt gar nicht wahr auf der anderen.
Und für all die anderen Entwicklungsbesonderheiten der Menschen, für all die psychologischen Erkrankungen, gilt sicher Ähnliches.
Wenn man also nur ein Bild davon zeigt, wie diese Leute funktionieren, weiter völlig belastbare Rädchen im Getriebe der Wirtschaft sind, oder aber nur der richtige Mensch fehlt, um sie völlig normal zu machen, und eben NUR das kommuniziert wird und nicht, dass das nicht für alle Betroffenen gilt, kann das auf Dauer nicht positiv für unser System sein.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Selbst an guten Tagen ist Depression scheiße! Selbst an guten Tagen macht sie mir Angst, dass schlechte Tage kommen und ich dann nicht mehr funktioniere. Mir winkt ein Job und ich habe Angst davor, was passiert, wenn die Leute dort erfahren, dass ich Depression habe. Oder, dass ich vermutlich Asperger habe. Ich habe Angst, nicht zu genügen. Und ich weiß, dass ich zumindest nicht voll belastbar bin. Aber wie kommuniziert man das, ohne sich gleich alle Chancen zu verbauen? Unser System ist nicht darauf eingestellt, dass es Menschen gibt, die nicht dem Klischee von Normalität entsprechen, dabei hat schon im Schnitt jeder 10. Bundesbürger einmal im Leben Depression (und Ärzte gehen davon aus, dass man nie ganz geheilt ist). Zählen wir all die anderen Dinge dazu, die nicht ’normal‘ sind, sind wir ‚Unnormalen‘ eigentlich die Normalität. Aber wir dürfen nicht darüber reden. Wir müssen funktionieren oder werden aus den Augen der Öffentlichkeit entfernt. In die Arbeitslosigkeit. Oder Frühverrentung. Statt, dass man uns entgegen kommt, und das System ETWAS anpasst, damit wir im Rahmen unserer Möglichkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen können. Was uns vielleicht ein Gefühl der Bestätigung gäbe, uns auch psychisch helfen könnte, wenn wir Glück haben.
Wenn Bücher dieses Bild unterstützen, lernen wir dann je dazu?
Wenn nicht offen auch die Schattenseiten kommuniziert werden, wenn alle Charaktere in Romanen und Serien, die irgendeine Krankheit, irgendeine atypische Entwicklung haben, einfach weiter funktionieren und sich ihre Besonderheiten nie auf die Arbeit auswirken, wird genau das weiter von uns erwartet. Dass wir immer funktionieren und unsere Leiden höchstens hinter verschlossenen Türen ausleben. Nur dort ins tiefe, schwarze Loch fallen. Nur dort mit unangenehmen Tics auffallen.
Auf Dauer wird so Unwissen noch verbreitet. Falsche Bilder transportiert.
Dabei ist das einzelne Buch kein Problem.
Keines der Beispiele, die ich aufgezählt habe, ist schlecht. Keines an sich irgendwie beleidigend. Keines hat wirklich schädliche Aussagen in sich. Im Gegenteil, zwei von drei Büchern fand ich sogar richtig, RICHTIG gut.
Aber hier macht es die Masse. Die Angst, eben auch mal das zu zeigen, was wir hinter unseren Masken verbergen. Wie sehr die Leute kämpfen. Und vielleicht, welche besonderen Bedürfnisse sie an die Welt stellen?
Was ich also wirklich will, ist, ein Plädoyer halten. Für mehr dreckige Wahrheit in Büchern, aber gut eingebaut.
Nicht nur so, dass man speziell danach suchen muss. Auch, wenn man über all das in Unterhaltungsliteratur, Fantasy, SciFi schreibt, wäre es schön, zumindest auch mal die andere Seite zu beleuchten. Wenn ein Autor das macht, gut macht, sollte man ihn dafür feiern.
Und daher möchte ich auch mit Empfehlungen schließen.
Denn es gibt Autoren, die das gar nicht schlecht machen.
Ich habe oben ja schon Daniela Schreiter zitiert. Ihre „Schattenspringer“-Graphic Novels, ebenso wie ihren Superheldencomic „Die Abenteuer von Autistic-Hero-Girl“ zeigen beides. Die nach außen hin niedlich-lustigen Eigenschaften, die ein Autist haben kann, und den Kampf dahinter. (Man beachte ‚haben kann‘, denn noch einmal: Kein Autist ist wie der Andere.)
Und schön-kindlich greifbar gemacht, wer hätte das gedacht, wäre da noch J K Rowling mit Harry Potter. Denn die Dementoren hat sie genutzt, um ihrer eigenen Depression ein Gesicht zu geben und hat, obwohl nur grob dargestellt, damit mehr Tiefe bewiesen als viele andere Autoren. Zudem ist der Charakter des Severus Snape, wenn man sich die Mühe macht, eine einzige große Charakterstudie dessen, was Mobbing und Misshandlung einer Psyche antun können – und wie sich das leider auch in moralisch nicht völlig einwandfreies Verhalten übersetzen kann.
Toller Beitrag! Mich stört auch, wie „leicht“ Behinderungen und seelische Probleme in Romanen oftmals dargestellt. Bisschen Rücksichtnahme, paar nette Aktivitäten und schwups ist alles gut. Ganz fürchterlich ist ja die Wunderheilung bei eigentlich unheilbaren Krankheiten, aber um die geht es hier nicht. Ich würde mir auch wünschen, dass bei der Schilderung von „Sachen“ wie Ängsten und Zwängen tiefer gegangen wird, anstatt es nur als Spleen darzustellen, der mit ein wenig Zureden überwunden werden kann. Aber es scheitert ja schon bei Mobbing-Erfahrungen, wo die Leute einfach nur auf eine neue Schule gehen müssen und schon ist alles wieder gut.
Vermutlich ist da doch der Druck zu groß, ein glückliches Ende abzuliefern, die Geschichte nicht zu bedrückend werden zu lassen. Neben der Unfähigkeit, sich wirklich reinfühlen zu können. Was ich jetzt niemanden vorwerfen will, weil aus meiner Sicht kann sich niemand wirklich perfekt in etwas reinfühlen, was die Person nicht selbst erlebt hat. Und auch dann ist jeder Jeck noch einmal anders. Aber grad deshalb wäre es so wichtig, dass Betroffene öfters eine breite Öffentlichkeit mit ihren Werken erfahren. Und Leser*innen sich immer deutlich machen, dass Autor*innen nur eine Annäherung schaffen können.
Damit in Zukunft nicht mehr Nicht-Betroffene zu Werken von Nicht-Betroffenen-Autor*innen schreiben, wie authentisch das Buch doch sei.
Hm, ich bin mir da gar nicht so sicher. Ich möchte schon glauben, dass man sich zumindest ansatzweise in Dinge einfühlen kann, die man nie erlebt hat. Es braucht viel Arbeit, Konzentration, Vorstellungskraft und letztlich vor allem den aktiven Willen dazu, aber dann geht es. Halbwegs.
Leider hilft es da absolut gar nichts, wenn man den Leuten aber gar nicht erst die Möglichkeit gibt. (Auch abseits der Bücher habe ich schon erlebt, dass mir von einem Betroffenen einer Sache gesagt wurde, ich dürfe gar nicht versuchen, mich in etwas einzufühlen. Das wäre übergriffig und ich hätte kein Recht dazu.) Und solange so etwas nicht nur nicht möglich ist, sondern auch noch als Affront gesehen wird, werden wir nie eine tolerante, offene Gesellschaft bilden. Denn dafür braucht es Verständnis und nicht nur simples Abnicken oder gar Ignorieren.
Aber vielleicht geh ich schon viel zu weit vom Thema weg. 😀 Ja, ich glaube auch, dass viele das Happy End da als wichtiger erachten. Was ich schade finde, ist, dass nicht genug experimentiert wird. Denn meiner Erfahrung nach geht es, so in die Tiefe zu gehen, und dennoch am Ende einen positiven Schlusspunkt zu setzen, mit einem Leser, der vielleicht durch eine emotionale Hölle ging, aber am Ende nicht nur Hoffnung, sondern auch Stärke gewonnen hat. (Persönlich hass-liebe ich Bücher ja, die mich erst so foltern.)
Zu deinem letzten Satz schließlich: HELL YEAH! 🙂
LG
Hallo,
ein sehr schöner Artikel! Das geht mir auch oft durch den Kopf, dass solche Themen noch immer meist nur an der Oberfläche behandelt werden. Ich glaube, wir unterhielten uns darüber schon mal auf Twitter, als ich meinte, man stelle sich mal einen Helden vor, der zwar die Welt retten muss, aber wegen seiner Depression nicht aus dem Bett kommt, und du meintest, dass zwar viele Helden durchaus depressive Symptomatik zeigen, aber die Texte an der Stelle eben nicht in die Tiefe gehen.
Ich kann da btw Brandon Sanderson empfehlen, der auch häufig psychische Erkrankungen thematisiert, besonders im Stormlight Archive. Außerdem Emma Newmans Planetfall, wo Angsterkrankungen und Hoarding thematisiert werden; die Autorin selbst ist an einer Angststörung erkrankt.
Liebe Grüße
Huhu,
jap, hast Recht und ich glaube, auch die Empfehlung von Sanderson hattest du mir damals schon gemacht. Vielleicht sollte ich endlich mal auf dich hören.
Planetfall sollte ich wirklich mal lesen. Würde mich interessieren, wie sie damit umgeht.
LG
Taaya
Es gibt zwei Jugendbücher, bei denen ich das Thema „psychische Erkrankung“ gut behandelt fand. Einmal „In anderen Worten: ich“ von Tamara Ireland Stone und „Some Kind of Happyness“ von Claire Legrand – bei beiden Geschichten fand ich sowohl die Art und Weise, wie die Probleme der Protagonistinnen geschildert wurden, als auch den Stellenwert, den ihre Therapien in der Handlung hatten, sehr gut dargestellt.
Mich ärgern immer Bücher, in denen autistische Personen als „Humorfaktor“ verwendet oder als „anders, aber sooo liebenswert, dass die das Leben aller um sie herum positiv beeinflussen“ dargestellt werden. Selbst wenn viele dieser Romane sich angenehm lesen lassen, so bleibt doch immer ein fieser Nachgeschmack übrig.
Huhu Konstanze,
danke für deine Empfehlungen.
Ja, das kann ich gut verstehen, auch wenn ich leider selbst ein Mittäter dabei bin. Nicht als Autor, sondern nur als Leser. Ich mag Sheldon und Don Tilman einfach zu gern und … kann mich so gut mit ihnen identifizieren (naja, mit Sheldon langsam nicht mehr, er wird gruslig), dass ich mir immer WÜNSCHTE, man würde meine Eigenheiten auch nur als niedlich ansehen. 😀
Aber ja, eigentlich bin ich damit auch nur ein Teil des Problems, weil ich so eine Darstellung mit meinem Konsum unterstützte. 🙁
LG
Taaya
Danke für deinen interessanten Blogartikel.
Ich hab vor einem Jahr auch mal zu dem Thema „Psychische Krankheiten in der Fantasy“ gebloggt und bin dabei zu einem ähnlichen Schluss gekommen: Es wird selten thematisiert, vor allem bei „Helden“.
Ich glaube, gerade in der Fantasy ist das Problem die Gratwanderung zwischen Genre-Konventionen, Lesererwartungen und realistischer Darstellung. Ich habe z.B. viele Rezensionen gelesen, die sich an der Charakterentwicklung von Katniss in „Tribute von Panem“ sehr gestört haben, weil sie durch ihr Trauma extrem passiv auftritt, viel zweifelt, hadert und eben nicht die Heldin ist, die viele gerne in ihr gesehen hätten. Es ist nicht leicht, einen Charakter, der in einer schweren Depression oder einem Trauma steckt, so zu beschreiben, dass die Leser mitgenommen werden, aber auch die negativen Seiten so herausgearbeitet werden, wie du es beschreibst. Ich hatte auch den Fall, dass Leser Verhaltensweisen meines traumatisierten Protagonisten als unlogisch oder dumm wahrgenommen haben, weil er sich an bestimmten Stellen nicht rational verhalten hat. Da ist die Gratwanderung dünn zwischen „schlecht gemacht“ und „glaubwürdige Schwäche des Protagonisten“. Bei depressiven oder autistischen Charakteren dürfte es sich ähnlich verhalten.
Ich würde mich (als Psychologin, nicht als Betroffene) auch freuen, wenn solche Themen auch abseits der typsichen Jugend- oder Gegenwartsliteratur Einzug fänden und da nicht nur als „Kink“ oder „Spleen“, sondern mit allen erforderlichen Facetten.
Liebe Grüße,
Elea
Huhu Elea,
… du machst mir gerade erstmal Lust, deine Werke zu lesen. (Opfermond oder Unter einem Banner?) Aber ja, das verstehe ich auch sehr gut. Ich glaube, man muss den Charakter schon sehr und lange mögen, um wirklich durchzuhalten und die Tiefen mit ihm durchleben zu können. Vielleicht ist das der Grund, warum sowas ziemlich oft in Fanfiction vorkommt, aber selten in Romanen? Weil man in FF schon die Bindung zum Charakter hat und es sonst gar nicht lesen würde, wäre man nicht auch an seinen Abgründen interessiert? (Hm … vielleicht heißt das, dass man als Autor selbst quasi einen FF-Zusatzband veröffentlichen muss, wenn man das wirklich genauer beleuchten will? Das würde aber wieder als Geldschröpferei abgetan werden. Schwierig.)
Deinem letzten Absatz schließe ich mich voll an. Naja, bis auf, dass ich keine Psychologin bin. Nur 3 Module Psychologie reichen da nicht, dass ich fachlich groß versiert wäre. 😀
LG
Taaya
Hi Taaya,
ein komplexes Thema über das man definitiv viel diskutieren kann.
Zum einen gebe ich dir recht, es wird oft verharmlost oder im Endeffekt nur angeschnitten. Natürlich frage ich mich auch: Hat der Autor sich mit diesem Thema auseinander gesetzt? Oder wurde nur der emotionale Effekt genutzt?
Man weiß es nicht, man kann nur mutmaßen.
Zum Punkt „Prota trifft den Menschen überhaupt und ist geheilt“ kann ich nur sagen, dass ich das tatsächlich gern habe. Nicht, dass von einem auf den anderen Tag alles wieder gut wird, nein, aber dass Hoffnung und Zuversicht ins Spiel kommt.
Danke für den Beitrag.
Liebe Grüße Tina
Huhu Tina,
schon. Aber mich ärgert halt, wenn mit dem Auftauchen eines einzelnen Menschen dann alles geheilt ist. Wenn das Leben plötzlich geändert ist, ohne dass der Protagonist nur Probleme mit der Anpassung hat. Oder am Ende das Gefühl erweckt wird, dass jetzt alles super sei und nicht, dass es zwar schöner sei und man zusammen mehr Kraft hat, der Weg aber (wie in jedem Leben, ob mit oder ohne Erkrankungen) hart wird.
Ansonsten … ja, Hoffnung ist schon schön. Und ich mag es auch, wenn das Ende positiv ist. Nur … realistisch positiv wäre mir schon lieber.
LG
Taaya
Die Erfahrung, dass gerade die schweren und schmerzhaften Dinge öfter in Fanfiction als in Romanen behandelt werden, habe ich auch gemacht. Inzwischen stelle ich fest, dass ich lieber (technisch nicht zu 100% saubere) Fanfiction lese als beschönigende Romane :/. Das ist schon irgendwie bitter.
Versuche ich, in meinen Büchern anders zu machen. So gut ich kann. Ob das ankommt, ist eine andere Frage.
Ohja, die Erfahrung habe ich auch gemacht. Selbst, wenn es nicht um so etwas geht, sind mir halbwegs gute Fanfictions mittlerweile viel lieber als mittelmäßige Romane. Traurig.
Ich drück dir bei deinen Büchern die Daumen. Bei meinen Werken bin ich bisher leider auch noch nicht so in die Tiefe gegangen. Wobei ich glaube, dass ich bisher nur neurotypische Charaktere hatte, die auch keine psychischen Erkrankungen hatten. Aber ich plane, da mal zumindest ein bisschen mehr in Richtung OwnVoices zu gehen. Mal schauen, ob ich mich traue und das gut umsetzen kann.
(Aber psssst. Ich schreib ja gar nicht. Nein nein. Das ist jemand völlig anderes. Wofür gibt es Pseudonyme. 😀 )
Ich lese viel (vor allem englischsprachige) Gay Romance und da gibt es gefühlt häufiger Protagonisten, die auch bei der psychischen Verfassung von der Norm abweichen, als bei anderen Gernes und die auch die schwierigen Phasen und schlimmen Zeiten zeigen. Gerade bei Liebesromanen läuft man Gefahr, in die „Liebe heilt alles“-Falle zu tappen. Tatsächlich habe ich diese Variante noch nie gelesen, sondern die Lösung ist immer, den anderen so zu akzeptieren, wie er ist, sich zu informieren und die richtige Unterstützung anzubieten. Da ich selbst an Depressionen leide, empfinde ich es immer als Erleichterung, wenn bestimmte negative Phasen bei den Protagonisten so dargestellt werden, dass ich sie aus eigenem Empfinden wiedererkenne. Ich kann teilweise sogar Freunden Bücher empfehlen und sagen, wenn Du wissen willst, wie es mir geht, lies dieses Buch. Leider gilt das kaum für Bücher außerhalb der Gay Romance. z. B. bei Krimis oder Thrillern findet man psychisch Kranke eher auf der Seite des psychopathischen Massenmörders.
Wer in diese Richtung mal schauen will, dem kann ich „Carry The Ocean“ und die Fortsetzung „Shelter The Sea“ von Heidi Cullinan empfehlen. Der erste Band wurde gerade frisch unter dem Titel „Das Rauschen der Stille“ ins Deutsche übersetzt. Da sind Autismus und Depression ein Thema, im zweiten Band wird auch gezeigt, wie sich die Änderungen im US-Gesundheitssystem für die Betroffenen auswirken.
Klares Wasser / Clear Water von Amy Lane (ADHS)
Ethan, who loved Carter (englisch) / Ethan und Carter – Du bist meine Melodie (deutsch) von Ryan Loveless (Tourette / geistige Beeinträchtigung durch Kopfverletzung).
Das sind schwule Liebesgeschichten, z. T. mit expliziten erotischen Szenen, also wer das nicht mag, lieber Finger davon.
LG Gabi