Buchdetails
- Erinnert an: //
- Genre: Sachbuch
- Erscheinungsdatum: 2020
- Verlag: btb
- ISBN: 9783442718870
- Taschenbuch 496 Seiten
- Sprache: Deutsch
- Triggerwarnungen: Sexismus, Cis-Normativität (weil Konzentration nur aufs biologische Geschlecht), Statistiken zu sexueller und sonstiger Gewalt gegen Frauen
Inhalt:
Criado-Perez hat in großem Detail zusammengetragen, in welchen Bereichen der Medizin, des öffentlichen Verkehrs, der Wirtschaft, Politik und diverser anderer Lebensbereiche Frauen auch im 21. Jahrhundert noch benachteiligt werden. Dabei hat sie sowohl Interviews geführt und Anfragen gestellt, als auch offizielle Statistiken, Studien und Meta-Studien herangezogen.
Aufbau:
Das Buch ist an und für sich in grobe Teilbereiche sortiert (zum Beispiel Alltag und Medizin) und dann wiederum in Kapitel unterteilt, aber innerhalb dieser Kapitel springen die behandelten Sachverhalte etwas zu stark für meinen Geschmack. Oft wäre es besser gewesen, jedes Kapitel in drei oder vier Unterkapitel einzuteilen, dort, wo es ein gemeinsames Fazit braucht. Und dort, wo kein Fazit über all diese Teilbereiche hinweg möglich ist, hätte man diese Kapitel auch komplett von einander teilen können. So wurde es schnell unübersichtlich und am Ende des Kapitels hab ich mich nicht nur gefragt, was das jetzt – außer Sexismus – mit dem Anfang zu tun hat, ich hatte den Anfang auch schlicht schon vergessen.
Hinzu besteht das gesamte Buch aus Fließtext, was bei mehr als 400 Seiten von Zahlen schnell ebenfalls unübersichtlich wird. Visuelle Hilfen wie Kuchen- oder Balkendiagramme, wo möglich, oder schlichte Tabellen, um Länder mit einander zu vergleichen, hätten nicht nur geholfen, die Informationen zu behalten, und den Lesefluss aufzulockern, sie hätten auch stellenweise (eben da, wo dutzende Länder nach einander mit Zahlen betrachtet wurden) Text gespart, ohne Informationen zu reduzieren. Hier verhindert der Aufbau leider eine noch eindringlichere Wirkung.
Meinung:
Dieses Buch ist wichtig. Es sollte Pflichtlektüre für alle Firmenbosse, Politiker*innen, und sonstige Positionen mit Macht sein, überall auf der Welt. Aber es ginge noch besser. Nicht nur ist der Aufbau, wie schon gesagt, nicht so ideal, um auch wirklich alle Informationen im Gedächtnis zu behalten, oder schnell finden zu können. Es war auch teilweise störend, wie binär und cis-normativ das Buch war.
Dass in der Wissenschaft zunächst einmal das biologische Geschlecht betrachtet wird, ist für mich verständlich. Ich weiß zwar, dass einige trans Menschen das beleidigend finden, aber wenn das biologische Geschlecht bestimmt, wie Medizin auf eine Person wirkt, wie leicht man Giftstoffe aufnimmt, oder sogar, wie ein Kühlpack wirkt, wäre es fahrlässig, dieses zu ignorieren – zumindest solange, bis man nicht bei jeder Person auch ohne Ansprechen des Geschlechts genau diese Informationen bekommt (zum Beispiel durch eine Krankenkassenkarte, auf der alle Infos zu Muskelverteilung, Knochen- und Hautdichte, … zu finden sind, für jeden individuell gemessen) und die Erhebung und Vorratshaltung dieser Informationen erschwinglich ist.
Und es ist auch verständlich, dass eine Wissenschaft, die bisher in weiten Teilen schon cis Frauen ignoriert, leider erst recht nicht erhebt, wie sich welche Ausprägungen bei inter Personen, und wie sich welche potenzielle Behandlung bei trans Menschen zu welchem Stadium wie auswirkt.
Aber ich hätte mir gewünscht, dass diese Wissenslücken wenigstens angesprochen worden wären. Das simple Ignorieren, dass es sowohl biologisch mehr als zwei Geschlechtsausprägungen gibt, als auch biologisches und soziales Geschlecht nicht deckungsgleich sind, stößt mir schon etwas übel auf. Dann lieber zugeben, dass es etwas gibt, wozu man nichts sagen kann (wobei es bei Gewalttaten da auch schon Statistiken für trans Menschen gibt), als einfach nicht auf die Existenz einzugehen.
Abgesehen davon ist das Buch aber, wie gesagt, wichtig. Es macht wütend, zu lesen, dass manche Schmerzen gar nicht von meinen Behinderungen kommen, sondern mein Geschlecht und männliche Designer Schuld sind, die einfach nur nicht bedacht haben, dass cis Frauenkörper anders gebaut sind als ihre eigenen. Es macht wütend, zu lesen, wie viele Politikerinnen selbst in der EU von sexueller Gewalt (sogar teilweise durch ihre Kollegen) betroffen sind. Es macht wütend, zu lesen, wie die Medizin uns in Studien als Störfaktoren betrachtet und deshalb nicht testet, ob Medikamente überhaupt für uns wirksam sind, oder ob Krankheiten bei uns andere Symptome zeigen – und so bewusst und aus ihrer eigenen Arroganz manche von uns zu einem unnötigen Tod verurteilen.
Aber diese Wut ist wichtig. Und längst überfällig. Sie sollte schnell von so vielen von uns und von den vernünftigen, anständigen Männern und anderen Betroffenen und Nicht-Betroffenen geteilt werden, denn offenbar ändert sich nichts, wenn wir nur höflich an die Vernunft des Patriarchats appellieren.
Fazit:
Es ginge noch etwas besser, inklusiver sowie übersichtlicher, aber das ändert nichts an der Wichtigkeit des Buches.
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