Anlass für diesen Beitrag war, dass ich mal wieder ein Buch lese, das mir nach nur 50 Seiten schon wieder solche körperlichen Schmerzen bereitet, dass ich den Rest des Tages nicht mehr den Computer nutzen konnte.
Wer es nicht weiß: Ich lese beim Gehen (und beim Sport sowie im Badezimmer), weil ich nur dann konzentriert lesen kann. Ich kann nicht monotasken, dabei werde ich müde und schlafe ein. Deshalb brauche ich Bewegung, wenn ich mich auf etwas konzentrieren will. Und das ist kein so seltenes Phänomen. Tatsächlich ist sogar wissenschaftlich bewiesen, dass das Hirn besser arbeitet, wenn wir uns bewegen.
Was in der Arbeitswelt so langsam ankommt – es gibt schon Schreibtische mit Laufbändern und meine Hauptklientin hat mir auch gestattet, die Aufträge für sie im Gehen am Handy zu bearbeiten, vielen Dank dafür! -, scheint bei den Verlagen noch nicht so richtig angekommen zu sein.
Aber darum soll es jetzt nicht vordringlich gehen, denn meine Wünsche an die Buchwelt der Zukunft sind tiefergehend.
Personalisierung statt Massendruck
Wer kennt es nicht? Ihr habt ein älteres Familienmitglied, dem ihr gern ein bestimmtes Buch schenken würdet, weil ihr sicher seid, dass es der Person gefallen wird – und dann gibt es das nicht in Großschrift. Die Person selbst liest aber keine E-Books (oder das ist wieder so ein E-Book, bei dem die Schriftgrößen kaum bearbeitet werden können).
Oder ihr kennt eine Person mit Lernbehinderung, aber die Geschichte, die diese Person inhaltlich begeistern würde, ist sprachlich so abgehoben, dass sie für euch selbst schon zäh war.
Oder das Buch, auf das ihr so lange gewartet habt, erscheint erstmal nur in dem euch verhassten Format – ob das nun Taschenbuch oder Hardcover ist.
Und dann gibt es da noch die vielen Bücher, die nicht als Hörbuch geeignet sind, von denen es aber entweder gar keine E-Books gibt, oder diese nicht von Tools für sehbehinderte Menschen verwertet werden können.
Es gibt viele Arten und Gründe, warum die Bücher in den Formaten und Formatierungen, in denen sie angeboten werden, schlicht nicht dem Bedarf gerecht werden. Das heißt, aktuell müssen sich die Menschen anpassen – oder einfach nicht lesen. Das kann aber auf Dauer nicht das Ziel sein, schon alleine aus Gründen der UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch, weil es auf Dauer einfach rückständig scheint, in einer Zeit, wo wir unser eigenes Müsli, unsere eigene Schokolade,… einfach selbst online zusammenstellen können.
Individualisierung sollte auch auf dem Buchmarkt in Zukunft ein Thema werden, nicht nur mit den personalisierten Büchern für Kinder, wo man Name, Aussehen und teils Abenteuer so auswählen kann, dass das jeweilige Kind sich selbst als Held*in der Geschichte sieht. (Etwas, was ich mir für Erwachsene übrigens auch wünschen würde.)
Nein, es sollte, gerade in Zeiten von Papierkrisen, endlich mehr auf Print on Demand geschaut werden – und dann mit verschiedenen Möglichkeiten, die nicht von Verlag oder Autor*in festgelegt werden, sondern von den Kaufenden.
Dann könnte man Papierdicke, Bindungart, Schriftgröße, Schriftart, Zeilenabstand, Ränder, Illustrationen oder nicht,… individuell und nach eigenen Bedürfnissen wählen. Ja, dann dauert es ein paar Tage länger, bis man das Buch in der Hand hält, aber das ist es doch wert, wenn man dafür etwas bekommt, was man leichter und besser lesen kann.
Und dann könnten die Manuskripte auch gleich in leichter Sprache vorliegen, weil es dann kein so großes finanzielles Risiko ist, eine ganze Auflage davon zu drucken. (Was übrigens auch für andere Dinge gilt, die sich Verlage gerade kaum trauen. Abweichungen vom aktuellen Mainstream, zum Beispiel.)
Wenn die Texte dann dafür eh schon digitalisiert sind, ist der Schritt dann auch nicht mehr weit zum E-Book – und dann hoffentlich in einer Version, die auch mit Screenreadern ausgelesen werden kann.
Ja, gut, der Buchsatz würde darunter leiden, weil der dann nicht mehr professionell für jedes einzelne Format gemacht werden kann – beziehungsweise die Kaufenden sich den selbst amateurhaft zusammenklöppeln, wenn sie das für sie gewünschte Format einstellen. Aber ich gebe zu, diese Fixierung auf Buchsatz habe ich noch nie verstanden. Solange der Text lesbar ist, ist doch alles gut?
Aber Birgit, was ist dann mit den Buchhandlungen?
Ja, das ist ein kleines Problem. Kein Unumgehbares, wie ich finde, aber das wird eine große Umstellung. Buchhandlungen, die in einer Gemeinschaft existieren, ihre Stammkund*innen kennen, könnten dann die Bücher in den besonders gefragten Modifikationen auf Lager haben und nehmen so Leuten, die lieber vor Ort kaufen, oder mit der Technik nicht klar kommen, diese Arbeit ab.
Es würde allerdings die Anzahl der Mängelexemplare deutlich reduzieren, was zugegebenermaßen schade wäre – also im Sinne von weniger Auswahl für den kleinen Geldbeutel, nicht im Sinne von weniger Büchern, die am Ende eingestampft werden. Und auch bei Dingen wie Rebuy und Momox würde es komplizierter werden. Ich möchte aber glauben, dass das nicht unmöglich wäre.
Eine neue Veröffentlichungsart für Anfänger*innen
Was ich mir obendrein noch wünschen würde, und worüber ich in den letzten Jahren schon mehrfach geredet habe, wäre zudem, dass der Buchmarkt offener wird.
Jetzt könnte man sagen, durch E-Books und Selfpublishing wurde er das schon. Und anfangs war das sicher auch so. Aber mittlerweile ist es nach außen hin ein Preiskampf, und nach innen teilweise ein Wegbeißen und Abschrecken vermeintlicher Konkurrenz.
Schauen wir uns doch mal an, was sich bei 99 Cent so tummelt. Ja, vereinzelt sieht man da sicher noch das Anfänger*innenwerk mit zugegeben abschreckendem Cover, das vom Kind gemalt wurde. Aber vor allem sehen wir da schon jede Menge Bücher mit Cover, das hinter Großverlagsqualität nicht zurückstecken muss, und das alleine zwischen 50 (bei Angeboten) und mehreren hundert Euro gekostet hat. Dazu kommt innendrin Lektorat und Korrektorat (günstigste Angebote ab 5, bzw 3 Euro PRO SEITE), und Buchsatz (da gibt es Tutorials für, wie man den macht, aber die sind so schwer und benötigen Codingfähigkeit, dass auch hier oft lieber Geld in die Hand genommen wird).
Bei 99 Cent finden wir Bücher, deren Herstellung – ohne die Arbeitsstunden der Verfassenden selbst – schon über tausend Euro an Kosten verursacht hat.
Wo sollen dann Anfänger*innen hin, die das Geld nicht oder noch nicht aufbieten können? Wo Menschen, die von Sozialhilfe leben oder Niedriglohnjobs machen und sich das niemals zusammensparen können? Wo Leute, denen eine solche Investition einfach zurecht unsinnig vorkommt, wenn sie wissen, dass das Geld nur selten wieder eingespielt wird?
Anstatt aber zu sagen, dass Bücher, in die so viel Geld gesteckt wurde, schlicht MEHR WERT SIND und entsprechend mehr kosten sollten, und Kaufenden endlich beizubringen, dass zumindest die niedrigste Preisklasse nur dadurch wirtschaftlich zu bespielen ist, indem man kostengünstig produziert – also diese hohe Investition in Cover und Co nicht tätigt, werden bei Diskussionen in der Schreibbubble dann oft Klassismen, Ableismen, Rassismen und Co um sich geworfen. Mal unabsichtlich, aus fehlender Erfahrung – wie die Aussage, man könne auch ja mit Fähigkeitstausch und Vernetzung einiges günstiger oder kostenlos erarbeiten, was aber eben nicht für alle machbar ist, weil Vernetzung selbst schon eine massive Hürde darstellt und leider längst nicht alle relevante Fähigkeiten neben dem Schreiben haben, die sie zum Tausch anbieten können. Aber gerne auch mal ganz bewusst, wie die Aussage, dass behinderte Menschen, wenn sie pro Buch nicht diese mehreren tausend Euro aufbringen können, nichts auf dem Buchmarkt verloren haben.
Die Diskussion ist im letzten Jahr etwas ruhiger geworden, die besonnenen Stimmen werden lauter. Der Gedanke, dass es okay ist, ohne so viel Geld zu veröffentlichen, solange man vor dem Kauf ersichtlich macht, was die Kaufenden erwartet, kommt auf.
Aber die Realität bleibt, dass für so etwas auf dem aktuellen Markt kaum Platz ist, was Stimmen marginalisierter Autor*innen ziemlich aussortiert.
Da würde ich mir etwas wünschen, dass das auffängt. Sei es, dass die unterste Preiskategorie nach und nach für Leute freigeräumt wird, die eben nicht so viel Geld investieren können, und Bücher wieder etwas mehr Wert gewinnen – mal ehrlich, 1,99€ ist jetzt für ein E-Book nun wirklich auch noch nicht zu teuer -, oder sei es, dass neue Wege gefunden werden.
Plattformen, wo Lesende kostenlos lesen können, aber Werbung schauen müssen – und wo die Werbeeinnahmen dann an die Verfassenden ausgeschüttet werden.
Oder Pay What You Want-Konzepte, die nicht durch die Hintertür gemacht werden (wie ich es bei meiner Weihnachtsnovelle getan habe, die kostenlos ist, aber auf meinen Ko-Fi-Link hinweist, FALLS jemand die so genießt, dass diese Person dafür etwas geben möchte), sondern richtig etabliert und ein Teil des normalen Marktes sind.
Bitte entschuldigt die kleine Schleichwerbung hier 😉
Bücher besser auffindbar machen
Auch das habe ich eigentlich oft genug gesagt, aber weil wir hier schon bei einer Art Wunschliste sind, muss das auch mal erwähnt werden: Handelsplattformen sollten endlich ermöglichen, die bisher versteckten Metadaten – die es sehr wohl gibt! – zum Filtern zu suchen.
Ja, das geht nur online, nicht in der Buchhandlung vor Ort – wobei da auch schön wäre, gleich die Tags mit am Buch stehen zu haben, das müsste allerdings eher von den Verlagen ausgehen.
Aber es braucht dringend eine Funktion, wo man ordentlich filtern kann. Und nicht nur positiv, sondern auch negativ. Dass man zum Beispiel sagt, ich will SciFi mit Aliens, aber ohne Krieg. Oder Fantasy mit Magie, aber ohne Weltenbedrohung. Krimi mit Provinz, aber ohne Leiche. Oder mit Leiche, aber ohne Dialekt?
Es ist technisch online möglich. Kleinverlage nutzen Tags oft schon auf ihren eigenen Websites, wenn auch nicht in dem großen Umfang, weil sich bei 50 Büchern ein so detailliertes Filtersystem noch nicht lohnt.
Aber bei Thalia, Amazon, Hugendubel, Weltbild,… würde es das sehr wohl. Dann würden Menschen viel eher finden, was sie wollen, und vor allem – zumindest, wenn andere Menschen da ähnlich sind wie ich, auch mal was kaufen. Denn was mich seit Jahren davon abhält und meinen SUB immer mehr reduziert, ist, dass ich nicht finde, was ich will. Und ich kann nicht einschätzen, ob es das überhaupt nicht gibt, oder, ob es nur zu weit unter lauter Kram vergraben ist, den ich nicht will, weil ich die Möglichkeit, das herauszufinden, schlicht nicht habe. Sie mir nicht gegeben wird. Dabei wäre es so einfach. Wenn eine kostenlose Website wie Archive of our Own das für Fanfiction kann, warum ist Amazon dann nicht dazu in der Lage?
Inhaltlich würde ich mir natürlich auch mehr wünschen
Ja, gut, das war zu erwarten, nicht wahr? Darüber habe ich sicher schon einige Male gebloggt.
Aber ja, ich wünsche mir mehr Vielfalt auf dem Buchmarkt. Mehr marginalisierte Autor*innen, mehr marginalisierte Charaktere.
Und nicht zuletzt, mehr Stile, mehr verschiedene Inhalte. Nicht immer nur alles düster. Viel mehr Cozy. Viel mehr Slice of Life. Die ganzen Sachen, wegen derer man aktuell eher Fanfiction lesen muss, weil es heißt, dass sie sich auf dem Markt nicht gut genug verkaufen würden.
Dafür wäre meine erste Idee oben hilfreich, denn wenn Großverlage anfangs weniger in ein Buch investieren müssen, können sie mehr wagen. Und auch der Barriereabbau für Autor*innen mit weniger Geld könnte dann helfen – weil auch dann nicht mehr nur veröffentlicht wird, was wirtschaftlich sicher ist, sondern Experimente keine oder nur wenig Verluste bedeuten könnten.
Denn natürlich freu ich mich, dass es schon mal so Strömungen wie die progressive Phantastik gibt. Aber die fokussiert sich gerade vor allem darauf, Traumata sichtbar zu machen, scheint mir. Sie ist roh, brutal, dunkel. Progressive Kuschelliteratur gibt es hingegen bisher nur auf Englisch. (Becky Chambers.) Und auch da nur selten.
Hier würde ich mir mehr wünschen, viel mehr. Und auch mehr für all die anderen Menschen, die sich vom Markt vergessen fühlen, dabei aber nicht meinen Geschmack teilen. Mehr Vielfalt. Mehr Unfug. Mehr mehr!
Nun will ich nicht sagen, dass das etwas ist, was ich in einem Jahr haben will, oder in fünf oder zehn. Ich glaube, dass es generell möglich ist, diese meine Wünsche zu realisieren – also logistisch, wirtschaftlich, … Ob es jemals so kommen wird? Ich weiß es nicht.
Übrigens hätte ich auch absolut nichts dagegen, wenn Teile davon deshalb nicht realisiert werden, weil in der Zwischenzeit einfach der Kapitalismus abgeschafft oder so runtergefahren wird, dass alle Menschen genug Geld haben, sich ganz dem zu widmen, was sie lieben, und Bücher generell kostenlos verfügbar sind – ohne, dass die Verfassenden dadurch irgendwelche realen Einbußen haben. Nur die größere Auswahl an Formaten möge bitte bitte auch dann irgendwann real werden, ob in fünf oder fünfzig Jahren.
(Nein, ehrlich, gern so schnell wie möglich, denn mein Arm tut immer noch weh und es wäre schön, wenn ich mir Bücher lieber eng bedruckt auf Mass Market Papier drucken lassen kann, wie es in den 70ern in den USA normal war – das wiegt einen Bruchteil von unserem und ist viel angenehmer zu lesen.)