Wer mich kennt, und mir schon etwas länger hier oder auf Twitter folgt, der weiß, dass ich ein Statistik-Nerd bin und auch eine ziemlich ausführliche Lesestatistik führe – wie mein letzter Jahresrückblick gut zeigt.
Nun aber … hänge ich in den Seilen.
Ich habe in diesem Jahr schon wieder über 170 Bücher gelesen und längst nicht immer hat man nach Abschluss eines Buches ja sofort Zeit oder auch Lust, es in die Statistik einzufügen. Besonders, weil das jedes Mal wieder mehrere Minuten dauert, sind es doch 24 Variablen, die ich erhebe. (Und ich habe die Genres in diesem Jahr schon auf zwei Variablen – Haupt- und Zweitgenre mit Ziffer – runtergekürzt.)
Heute habe ich mal nachgeschaut und schon wieder hinke ich beinahe 40 Bücher hinterher. Und ich merke gerade, dass ich absolut keine Lust habe, sie nachzutragen.
Zu spät einzutragen verfälscht die Daten
Aber wenn man erst eine Woche oder gar einen Monat zu spät einträgt und in der Zwischenzeit schon zwanzig andere Bücher gelesen hat, wie gut kann man sich dann noch an den Inhalt erinnern? Weiß man dann noch, ob ein Charakter nicht-weiß, queer oder behindert war, wenn das nicht der Protagonist ist? Ehrlich gesagt, nein.
Und dann … muss ich letztlich raten. Was nicht gerade im Sinne der Wissenschaft ist. (Und ja, ich weiß, eigentlich interessiert meine Statistik niemanden außer mir selbst. Aber ich bin eben immer noch studierte Soziologin, wissenschaftliche Gütekriterien und die Reduzierung von potenziellen Fehlern wurde mir einige Jahre im übertragenen Sinne eingeprügelt.)
Zu unklare Variablen
Aber nicht nur ich selbst bringe Fehler rein. Auch die Variablen selbst – oder eher wieder ich, aber diesmal mein Vergangenheits-Ich.
Denn nur, weil es Comics der Reboot-Filme von Star Trek sind, und Sulu vorkommt, ist das ein Comic mit queerer Repräsentation? Ja, Sulu ist schwul, aber wenn er in dem Comic nur einmal kurz von der Seite gezeigt wird und nur jemand, der die Filme kennt, weiß, dass der Charakter einen Ehemann hat, ist das wirklich Repräsentation?
Und ist es Repräsentation von Behinderung, nur, weil ICH mich in einem Charakter und seinen Problemen wiederfinde und dieser Charakter Probleme hat, weil er sein Umfeld nicht versteht oder auf Barrieren stößt – aber mit keinem Wort gesagt wird, dass er körperbehindert, neurodivers, … ist?
Aber selbst bei den Autor*innen hab ich Probleme. Es ist schwer, auf einer Skala, die einerseits männlich und weiblich und bei Teams die Verteilung erfasst, auch nicht-binäre Personen gleichberechtigt einzubeziehen. Die Lösung, einen Punkt ‚Team umfasst eine nicht-binäre Person‘ einzufügen, ist nicht ideal. Und nicht nur das – WOHER SOLL ICH DAS WISSEN?! Also … es steht nie auf dem Buch. Das heißt, ich laufe immer Gefahr, Personen unabsichtlich zu missgendern. Aber ich recherchiere Autor*innen halt auch nie – weil ich festgestellt habe, dass ich oft mehr Freude am Buch habe, und leichter objektiver sein kann, wenn ich nicht wirklich weiß, wer dahinter steckt. Denn … was, wenn ich deren Twitter-Feed sehe und merke, dass die Personen total unsympathisch sind? Wie soll ich das Buch dann noch gut bewerten können?
Und letztlich ist es verdammt viel Arbeit
Das kommt dazu. Am Jahresende sitze ich meist acht Stunden an der Auswertung. Alleine daran. Dann noch mal fünf Minuten pro Buch, was bei meinen ~250 pro Jahr auch noch mal 20 Stunden sind. Mehr als einen Tag pro Jahr stecke ich nur in die Lesestatistik.
Natürlich macht mir das Ergebnis Freude. Ich liebe es, mir die Tabellen anzuschauen, welche Autor*innen und Verlage ich am häufigsten gelesen habe, von welchem bis welchem Jahr der Ersterscheinungstermin meiner Bücher gestreut ist, und ob meine Bewertung oder die Anzahl der gelesenen Tage pro Buch vom Genre abhängig sind.
Aber dieses Jahr grübel ich, ob es das wirklich wert ist. (Und ich ärgere mich, dass es keine App gibt, die all das automatisch macht.)
Das mag daran liegen, dass ich gerade in einer etwas depressiveren Phase bin. Vielleicht überlege ich mir all das noch anders, wenn ich da wieder raus bin, wieder mehr Energie habe. Aber gerade glaube ich, letztes Jahr war vorerst das letzte Jahr mit großer Statistik. Ich glaube, dieses Jahr habe ich keine Lust, mich noch einmal aufzuraffen, und alles nachzutragen.