Bibliotheken – Eine Hass-Liebe

Für Bücherwürmer gibt es nichts Schöneres, als Bibliotheken, richtig? Große Hallen voll Bücher, die alle nur darauf warten, gelesen zu werden. Nun, ich gestehe, der Beziehungsstatus zwischen mir und Bibliotheken lautet: Es ist kompliziert.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schon einmal erzählt habe. Während meines Studiums habe ich etwa vier Jahre lang in der Institutsbibliothek gearbeitet, die mich mit Büchern zu meinen Studienfächern versorgte. Davon einige Monate im Pflichtpraktikum, das für meinen Studiengang erforderlich war – weil kaum eine andere Praktikumsstelle mit Vollzeitstudium und Pendeln zu kombinieren war. Weil Bibliothekswesen aber nicht gerade zu den herkömmlichen Arbeitsfeldern von Soziologen oder Politologen zählten, legte mir der Professor, der für die Praktika verantwortlich war, aber auf, aus meinem Praktikumsbericht eine kleine wissenschaftliche Arbeit zu machen. Das genaue Thema weiß ich nicht einmal mehr.

Derselbe Prof hat mich quasi direkt nach meinem Praktikum dann als seine Hiwi eingestellt und so verbrachte ich sogar 3 Monate bezahlt in diesem Tempel des Wissens. Aber auch davor und danach blieb ich meiner IB als Ehrenamtliche treu. Ich habe es da geliebt. Immer frischer Kaffee (gut, ich trinke normalen Kaffee nicht, aber der Geruch hat etwas heimeliges an sich), Kekse, und Menschen.

Ich habe hier nicht nur tolle Bücher entdeckt (Harry Potter in the International Relations, American Science Fiction), sondern auch meine Social Skills erweitert. Vorher hat der Gedanke an ein Telefonat mich in Panik versetzt, heute mag ich telefonieren nur nicht. Und ich lernte, dass es, obwohl ich mich eher als Misanthrop ansehe, doch Spaß macht, Menschen helfen zu können, und mit ihnen täglich umzugehen. Es wurde für mich eine Heimat.

Auch andere Bibliotheken mag ich sehr gern. Ich liebe diese ‚Bookporn‘-Bilder. Riesige, dunkle Holzregale voller alter Bände. Man fühlt sich gleich ruhig und geborgen, wenn man sich vorstellt, dort zu sein.

Und dann sind da noch die Menschen, die dort arbeiten, also von mir damals einmal abgesehen. Die Bibliothek meiner Geburtsstadt hat unglaublich nette Mitarbeiter, die vor Ort, aber auch in den sozialen Medien locker mit einem umgehen, scherzen, und auch kein Problem damit haben, wenn meine Mutter und meine Schwester jeweils Bücher für die andere abholen, wenn sie schon mal da sind. Spart man sich bei Vormerkungen einen Weg und die beiden sind da schon bekannt.

Es gibt so viele Gründe, Bibliotheken zu lieben:

  • Sie versorgen einen mit immer neuem Stoff für die Wunschliste. Hier entdeckt man oft Bücher, die es mangels Lagerfläche gar nicht schaffen, in den Läden ausgelegt zu werden. Die wahren Geheimtipps findet man nur hier.
  • Auch Filme und Spiele kann man hier finden, wenn einem mal nicht nach lesen ist.
  • Sie richten Lesungen, Spieleabende und Ferienprogramme aus und sind damit ein wichtiger sozialer Treffpunkt in einer Zeit, wo es eine größere Ausdifferenzierung an Interessen und damit immer weniger feste Treffpunkte für Leute aus einer Region gibt.
  • Und das Wichtigste: Sie machen Bildung und Unterhaltung den Menschen zugänglich, die nicht das Geld haben, sich all das selbst zu beschaffen. Sie sind eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft, gerade für Kinder, die gerne lesen, aber nicht viel Geld haben, und Leute, die nicht viel verdienen.

Und doch verbindet mich mit Bibliotheken auch eine Form von Hass. So habe ich einerseits mit Menschen aus Bibliotheken auch sehr schlechte Erfahrungen gehabt. Während die Leute der Stadtbibliothek meiner Geburtsstadt, wie schon erwähnt, wirklich fantastisch sind, hatte ich mit denen in meiner Studienstadt Probleme. Nicht nur, dass die Bibliothek sehr modern und kalt gehalten ist und daher rein optisch nicht zum Verweilen einlädt, diese optische Kälte machen sie durch übertriebene Nutzung der Heizung wieder wett. Das hat nichts mit Büchern zu tun. Aber wenn ich nachfrage, ob man die Temperatur auf den Toiletten nicht wenigstens unter 25 Grad halten kann, weil ich da schon mehrfach einen Kreislaufzusammenbruch wegen der Hitze hatte, und sie mir schreiben, dass ich die Erste sie, die sich beschwert – was, wie ich weiß, nicht stimmt – und man keine Veranlassung sieht, irgendetwas zu ändern, fühle ich mich dort nicht willkommen.

Aber auch abseits meiner privaten Einstellung einer einzelnen Bibliothek gegenüber, kann ich mich einfach nur schwer dazu überwinden, die Dienste zu nutzen. Ich liebe es, dass es das Angebot gibt. Und doch fühle ich mich als Nutzerin von Bibliotheken einfach nicht wohl:

  • Ich hasse es, wenn ein Buch nicht mir gehört. Nicht, weil ich es unbedingt haben will, sondern weil es mich einschränkt. Meine Bücher kann ich in meinen Rucksack stopfen und muss mir keine Sorgen machen, wenn der Einband dadurch Kratzer kriegt, oder doch mal ein Eselsohr reinkommt. Ich kann beim Lesen essen, trinken oder sogar baden. Wasserschäden sind selten wirklich schlimm, das Papier wird nur wellig, ist aber noch lesbar. Aber das macht man nicht mit Büchern, die einem nicht gehören! Und so kann ich ein Bibliotheksbuch eigentlich gar nicht lesen. Denn ich bin immer entweder unterwegs, esse oder trinke. Oder ich lauf durch die Gegend. Was, wenn mir das Buch entgleitet und ich die Kante anhaue? Das sieht man. Und dann ist es meine Schuld.
  • Ich hasse es, wenn ein Buch nicht mir gehört und ich deshalb unter Druck bin, es endlich zu lesen. In der Institutsbibliothek hatte ich als Ehrenamtliche keine Leihfristen. Solange niemand das Buch vorbestellte – was dort kostenlos ging, im Gegensatz zu den meisten Gemeindebüchereien -, durfte ich es behalten. Und so blieben manche Bücher bis zu drei Jahre bei mir, ohne dass ich sie je angerührt habe. Aber da war immer das schlechte Gewissen, dass andere Leute es vielleicht gern lesen würden, wenn sie es nur im Regal stehen sehen könnten. Ich habe vielleicht verhindert, dass Leute das Buch ihres Lebens fanden. Nun, in Wirklichkeit ist das sehr unwahrscheinlich. Es waren medienwissenschaftliche Werke zu SciFi und Fantasy und nicht gerade Shakespeare. Aber dennoch dachte ich so und mein schlechtes Gewissen wurde immer schlimmer. Also gab ich sie schließlich ungelesen zurück.
    Bei normalen Bibliotheken geht aber nicht einmal das. Man kann nicht warten, bis das schlechte Gewissen siegt, sondern hat eine feste Frist. Und darf nur eine bestimmte Anzahl Wochen verlängern, bis keine weitere Verlängerung möglich ist. Unter Druck kann ich aber nicht lesen. Und wenn ich mich doch dazu zwinge, tendiere ich dazu, es am Buch auszulassen und es dafür zu hassen.
  • Öffnungszeiten sind der Horror. Ich kann mit so etwas auch schlecht umgehen. Auch abseits von Lesen ist Zeitdruck für mich etwas, was im Bereich der Arbeit gut wirkt. Wenn ich etwas tun MUSS, gibt es keine Alternative, also beiße ich mich durch. Im Privaten aber sorgt es dafür, dass ich alles lasse. Ich muss einen bestimmten Bus erwischen, um rechtzeitig im Theater zu sein? Das sitzt mich so unter Druck, dass ich zitternd in der Ecke sitze, den Bus verpasse und das Theaterstück nie sehen werde. Daher versuche ich, so wenig Privates wirklich zu planen. Ich bin gerade schon von der Toilette und könnte deshalb gerade raus? Klasse, dann kann ich jetzt einkaufen gehen. Aber sich vorher zu denken ‚Sobald ich auf Klo war, sollte ich mal einkaufen‘ und schon kann ich den Tag vergessen. Und so ist es mit den Öffnungszeiten von Bibliotheken eben auch. Die in meinem Dorf hat beispielsweise nur 4 Stunden die Woche auf. In den Ferien gar nicht. Deshalb habe ich es seit 15 Jahren nicht mehr dort hin geschafft. Jedes Mal, wenn ich es doch probieren will, scheint mich diese winzige Zeitspanne so zu stressen, dass es eben nicht geht und ich mich dagegen entscheide, weil ich sonst die ganzen zwei Stunden da sitzen und leiden würde.
  • Was für mich aber wohl das Schlimmste ist, ist die unerträgliche Stille der meisten Bibliotheken. Wie gesagt, meine geliebte IB war vor allem ein sozialer Treffpunkt. Studenten kamen, trafen sich mit Freunden, aßen dort, … In den einzelnen Räumen (es waren etwa 20) gab es Arbeitsplätze, um an Referaten und Hausarbeiten zu arbeiten oder wirklich zu lernen. Aber die Ausleihtheke war für soziale Zusammenkünfte und Freistunden reserviert – neben dem tatsächlichen Ausleihen. Dort habe ich mich wohl gefühlt, weil neben dem Geschnatter von uns Menschen auch immer Musik lief. Aber in normalen Bibliotheken wird das Soziale vollkommen vergessen. Hier lebt noch das Klischee der grauhaarigen Bibliothekarin mit Dutt und Brille am Goldkettchen, die auf das kleinste Geräusch mit einem strengen ‚Pssst‘ reagiert. Bei Stille läuft mir gleich ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Aber noch mehr ärgert es mich, dass es die Leser so einschränkt. Es gibt diesen einen Ort, diese eine zentrale Anlaufstelle, wo Bücherliebhaber auf einander treffen können. Diesen einen Ort, wo man wirklich diskutieren und sich austauschen könnte. Und diese wunderbare Chance, Freundschaften zu knüpfen und Horizonte zu erweitern, wird unterbunden.

Und so fühle ich mich irgendwie … gleichzeitig unnormal und schuldig. Als Bücherwurm sollte doch eine Bibliothek mein natürliches Umfeld sein. Wenn ich dort nicht hingehöre, gibt es überhaupt einen Platz für mich? Und als jemand, dessen Ziel es doch ist, die Liebe zum Lesen zu verbreiten, sollte ich da nicht meine Bibliotheken unterstützen? Ständiger Kunde sein, Werbung machen und Bücher immer erst einen Tag zu spät zurückgeben – zu kurz, um dem nächsten Leser zu schaden, aber lang genug, um Strafe zu zahlen und damit die Anschaffung neuer Bücher zu unterstützen? Bibliotheken hinterlassen mich zerrissen. Ich liebe sie und ihre Existenz und doch scheue ich sie, wie der Teufel das Weihwasser. Und oft frage ich mich, ob etwas mit mir nicht stimmt. Mit ihnen wäre mein Leben viel leichter, hätte ich doch so mehr Geld übrig. Und doch kann ich mich nicht überwinden.

3 Gedanken zu „Bibliotheken – Eine Hass-Liebe“

  1. Wirklich interessanter Beitrag!
    Ich mag das Prinzip von Bibliotheken sehr und das einzige was mich davon abhält, sie auch zu nutzen, ist dass ich zu Hause noch so viele Bücher habe, die ich lesen möchte. Meine Stadtbücherei habe ich seit bestimmt 10 Jahren nicht betreten, weil sie damals einfach nichts mehr im Angebot hatte, was mich interessierte und mittlerweile ist ehrlich gesagt das Problem, dass ich eben so lange nicht mehr da war und mir deshalb (unnötige) Sorgen mache, dass es dann unangenehm oder peinlich wäre oder mein Ausweis gar nicht mehr funktioniert. Normalerweise wäre das kein Problem, aber ich bin da etwas eigen. 😀 Ich kann mich auch gar nicht mehr daran erinnern, ob da so sehr auf Ruhe bestanden wurde, aber ein Treffpunkt war es definitiv nicht.
    In der Uni-Bib sieht das natürlich anders aus, weil da tatsächlich eine Menge Leute zum arbeiten und lernen hingeht und Stille da natürlich die Voraussetzung ist. Selbst Flüstern ist da schon sehr ungern gesehen und niemand würde auf die Idee kommen, sich dort „zum Spaß“ zu treffen.
    Was du darüber sagst, dass man auf fremde Bücher natürlich mehr aufpassen muss, kann ich schon verstehen. Auf der anderen Seite ist es aber oft auch so, dass die Bücher schon angeschlagen sind oder Knicke haben, wenn man sie ausleiht und das entspannt mich dann schon eher, weil ich da nicht das Gefühl habe, dass man es sofort sieht, wenn ich es mal zu weit aufklappe oder so. Bei neuen Büchern mache ich mir viel mehr Sorgen um mögliche Macken, auch wenn ich die nicht tragisch finde.
    Mit Öffnungszeiten habe ich eigentlich kein Problem, aber 4 Stunden in der Woche sind wirklich verdammt wenig. Das würde mich auch zu sehr einschränken und mit der festen Zeit schon fast das Gefühl eines Arzttermins geben.

    Liebe Grüße!

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  2. Ein sehr interessanter Beitrag!
    Ich hatte mal eine Zeit, in der ich recht oft in der Bücherei war, aber irgendwie hat sich das wieder gelegt…ich weiß gar nicht, wie lang mein Bibliotheksausweis schon abgelaufen ist o_O

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    • Geht mir genauso. Ich meine, ich hab mehrere. Gemeindebücherei, zwei Städte im Umkreis, … Nur die Uni verlängert sich mittlerweile alleine, weil der Ausweis der Studentenausweis ist 😀

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